27/07/2020 – Aktuelle Euler Hermes Studie

Corona: 13.000 Unternehmen und 158.000 Jobs in europäischer Textilindustrie gefährdet

 Krise auch als Chance nutzen: Weg von Fast Fashion, dafür hin zu mehr Nachhaltigkeit und Digitalisierung in der Fashionindustrie.

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Die Umsätze der europäischen Textil- und Bekleidungsindustrie (EU und Großbritannien) werden im Jahr 2020 im Zuge der Covid-19-Pandemie um voraussichtlich 19% einbrechen. © PhotoSG - stock.adobe.com

 

Die Umsätze der europäischen Textil- und Bekleidungsindustrie (EU und Großbritannien) werden im Jahr 2020 im Zuge der Covid-19-Pandemie um voraussichtlich 19% einbrechen. Hauptgründe sind im Wesentlichen die wohl beispiellose Unterbrechung des Handels, der Produktion und des Einzelhandels, gefolgt von einer großen Wirtschaftskrise, durch die das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Länder der Eurozone um voraussichtlich 9% schrumpft. Das hat nach einer Analyse des weltweit führenden Kreditversicherers Euler Hermes spürbare Folgen für Arbeitsplätze und die Existenz zahlreicher Unternehmen.

Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz:

„Nicht alle Unternehmen werden es schaffen, sich durch die Krise zu retten. Wir gehen davon aus, dass trotz der zahlreichen Unterstützungsmaßnahmen etwa 13.000 Unternehmen in Europa bis Ende 2021 verschwinden und damit rund 158.000 Jobs in der europäischen Textilindustrie in Gefahr sein dürften. Damit kommt die Covid-19-Pandemie auch in der Herstellung an – im textilen Einzelhandel hat sie längst ihren Tribut gefordert, mit vielen großen Insolvenzen bereits im ersten Halbjahr 2020."

Das entspricht in etwa 8% der Gesamtbeschäftigung in der Industrie und 6% der Unternehmen in Europa. Der Anteil der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) am Gesamtumsatz der europäischen Textilindustrie ist doppelt so hoch wie der Durchschnitt des verarbeitenden Gewerbes, was sie insgesamt anfälliger macht.

Aurélien Duthoit, Branchenexperte bei der Euler Hermes Gruppe:

„Wir gehen aber davon aus, dass sich der Umsatz der Branche im Jahr 2021 wieder etwas erholt und um etwa +15% zulegen dürfte. An das Vorkrisenniveau dürfte er aber wohl nicht vor 2023 anknüpfen – vorausgesetzt, dass es zu keiner zweiten Welle kommt, sich die Situation mit Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen allmählich normalisiert und die Wirtschaft weiterhin finanziell und monetär erheblich unterstützt wird."

Deutschland: Textilhersteller kommen glimpflicher davon als in Nachbarstaaten

In Deutschland dürften die Umsatzeinbußen mit -12% im Jahr 2020 geringer ausfallen als beispielsweise in Italien (-22%) oder Frankreich (-17%). Die Gründe dafür sind zum einen der wesentlich kürzere und weniger strikte Lockdown und die vergleichsweise schnellere Wiedereröffnung der textilen Einzelhandelsgeschäfte. Zum anderen spielt aber auch der höhere Anteil an industrieller Textilherstellung eine Rolle. Durch die stärkere Diversifizierung und zahlreiche Nischenhersteller ist die Abhängigkeit vom textilen Einzelhandel hierzulande etwas geringer.

Ron van het Hof:

„Nichtsdestotrotz ist die Abhängigkeit der Textilhersteller vom Einzelhandel und Konsum auch in Deutschland nicht unerheblich. Viele Unternehmen im textilen Einzelhandel hängen seit Jahren am seidenen Faden."

Krise als Chance: Textilbranche in Zukunft grüner und digitaler?

Es gibt neben Schatten auch Licht, denn die Branche ist weitaus widerstandsfähiger und wettbewerbsfähiger aufgestellt als noch 2009.

Diese Faktoren deuten darauf hin:

  • Die europäische Handelsbilanz im Textil- und Bekleidungssektor hat sich zuletzt erheblich verbessert.
  • Die Unternehmen haben Produktionsfortschritte und ein dynamisches Wachstum in den Segmenten erzielt, in denen die europäischen Hersteller am wettbewerbsfähigsten sind.

Aurélien Duthoit:

„Die Krise ist für die Branche auch eine Chance. Mit staatlicher Unterstützung könnte die Textilindustrie nicht nur einen schnelleren Aufschwung erleben, sondern auch den Forderungen nach einer grüneren und digitaleren Wirtschaft entsprechen. Der Schlüssel dafür ist insbesondere eine Abkehr vom schnellen Konsum und 'Fast Fashion'."

Abkehr von Fast Fashion

Eine umweltfreundlichere Textilindustrie würde mehr Wert auf Qualität statt auf Quantität legen und eine Abkehr vom Fast-Fashion-Paradigma darstellen, das den Interessen der europäischen Fertigungsindustrie seit jeher vollkommen widerspricht. Der boomende Pro-Kopf-Kleidungsverbrauch hat seinen Preis: Die Industrie verursacht weltweit etwa 10% aller Treibhausgasemissionen. Italien könnte als gutes Beispiel dienen

In Italien stimmen Interessen von Verbrauchern, Einzelhändlern und Herstellern überein, so dass – entgegen der globalen Trends – eine Präferenz für teurere, aber qualitativ hochwertigere und lokal hergestellte Bekleidung beibehalten werden konnte.

Weniger Importe = mehr lokale Umsätze

„Die Vorteile liegen auf der Hand: Weniger Importe von Kleidung und ein Ersatz durch lokale Herstellung würden der europäischen Textilindustrie spürbar mehr Schwung geben", sagt Duthoit. „10% weniger Importe von Bekleidung in Frankreich und Deutschland brächten in Europa 8% mehr Umsatz. Dazu muss allerdings ein Umdenken stattfinden – sowohl bei Verbrauchern als auch im Einzelhandel. Das steigende Umweltbewusstsein und die Folgen von Covid-19 könnten dies jedoch begünstigen."

Risikominimierung durch verbesserte E-Commerce-Fähigkeit

Auch bei Digitalisierung und Technologie ist noch Luft nach oben. Viele KMU haben nicht die Mittel, sich an teuren Forschungs- und Entwicklungsprogrammen zu beteiligen, so dass eine Förderung des Einsatzes modernster Technologien hier Chancen bietet. „Angesichts der jüngsten Erfahrungen im Zuge von Covid-19 ist aber auch die Unterstützung der Entwicklung von E-Commerce-Fähigkeiten essenziell", sagt Duthoit. „Denn das würde den Herstellern helfen, ihre Reichweite zu vergrößern und ihre Risiken zu mindern – und sie wären fu?r die nächste Krise deutlich besser aufgestellt."

Die vollständige Studie zur Textilindustrie in Europa "Brusied but not beaten" (ENG, PDF) steht Ihnen hier kostenlos zum Download bereit.