15/05/2020 – Campact e.V.

Corona: Viele Demonstranten verweigern Masken

Campact-Vorstand Felix Kolb warnt vor Demonstrationen gegen Coronaauflagen und analysiert die Lage. textile network fasst das Wichtigste zusammen.

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Dr. Felix Kolb organisiert seit über 25 Jahren Proteste und kritisiert die Politik von Regierungen und Konzernen. Die aktuellen Corona-Proteste oder sogenannten Hygiene-Demonstrationen bereiten ihm Sorgen. Er warnt davor, sich zu beteiligen und erklärt in seinen Ausführungen auch warum. © Campact

 

Deutschland ist bislang deutlich besser durch die Corona-Krise gekommen als viele andere Länder. Überlastete Intensivstationen wie in Italien oder eine enorme Ausbreitung wie in den USA kennen wir zum Glück nicht.

Doch das liegt nicht daran, dass das Virus weniger gefährlich ist als gedacht. Der einfache Grund: Die bisherigen Maßnahmen haben gut funktioniert. Die Gesundheitsbehörden haben früh, viel und systematisch getestet. Dadurch konnten sie das Infektionsgeschehen rechtzeitig eindämmen. So waren die Krankenhäuser auf stark steigende Patientenzahlen vorbereitet. Auch deswegen sind in Deutschland der Seuche im Pro-Kopf-Vergleich viel weniger Menschen zum Opfer gefallen als beispielsweise in Spanien, Schweden, Großbritannien, Italien oder den USA.

Wir alle haben auf soziale Kontakte und Mobilität verzichtet, sind zu Hause geblieben, wenn es ging – und wir halten weiterhin Abstand.

Die Politik hat Orte, an denen man sich leicht ansteckt, konsequent geschlossen – zum Beispiel Geschäfte, Schulen oder Veranstaltungen. So haben wir gemeinsam unzählige Menschenleben gerettet, darauf dürfen wir stolz sein. Gleichzeitig schrumpft die Wirtschaft bei uns zwar – aber nicht stärker als in den Ländern, die zögerlicher auf das Virus reagierten. Großbritannien und die USA wird die Wirtschaftskrise vermutlich sogar noch deutlich härter treffen.

Abstandsregeln, Kontaktbeschränkungen, Schul- und Geschäftsschließungen haben unser aller Leben verändert – und bringen unzählige Menschen in existenzielle Nöte.

... Natürlich: Alle Maßnahmen dürfen kritisiert werden. Und manche waren eindeutig überzogen – wie die anfänglichen Verbote, auf einer Parkbank frische Luft zu tanken. Auch mangelnde Hilfen in der Krise sind ein wichtiger Teil des Diskurses. Ebenso die fehlende Schutzausrüstung und die schlechte Bezahlung von Pflegepersonal in Krankenhäusern und Altenwohnheimen.

Bei aller Kritik dürfen aber nicht vergessen, mit welcher Wucht die Pandemie uns überrannt hat.

Und wie schnell die Regierungen weltweit Entscheidungen treffen mussten – ohne viel über das Virus zu wissen. Im Detail haben die Verantwortlichen sicher Fehler gemacht – auch in Deutschland. Aber: Im Kern waren die Maßnahmen zum Infektionsschutz richtig und angemessen. Die Alternative wären mit hoher Sicherheit Tausende, wenn nicht Zehntausende zusätzliche Tote gewesen – bevor die Bundesregierung dann doch die Notbremse gezogen hätte. Denn dem Coronavirus einfach freien Lauf zu lassen, bedeutet den Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Das kann niemand wollen, der bei Verstand ist.

Warum die Corona-Proteste gefährlich sind

Viele der Menschen, die gerade samstags auf die Straße gehen, verleugnen, wie gefährlich das Virus ist. Andere tun so, als sei die Gefahr gebannt. Das ist leider nicht der Fall. Nach allem, was wir wissen, hat sich bislang nur ein Bruchteil der Bevölkerung infiziert. Wenn unsere Vorsicht nachlässt und die Lockerungen zu weit gehen, ist eine zweite Infektionswelle unausweichlich. Diese Welle wäre wahrscheinlich deutlich schlimmer als die erste. Denn das Virus hat sich mittlerweile flächendeckend in Deutschland ausgebreitet. Es drohen dann nicht ein Heinsberg – ein Landkreis in NRW, der zum ersten großen Infektionsherd in Deutschland wurde – sondern unzählige. Deswegen sind die Proteste, die in einigen Städten entstehen, auch so gefährlich. Klar, eine Pandemie mit ihren gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Folgen macht Angst und verunsichert – auch mich.

So schnell die Wissenschaft auch forscht: Viele Fragen werden vorerst ungeklärt bleiben

Wie infektiös sind Kinder? Welche Rolle spielen Schulen, Restaurants oder Geschäfte? Wie viel hilft das Händewaschen? Antworten auf diese Fragen werden vorläufig bleiben, sich wieder ändern, wenn es neue Erkenntnisse gibt – so funktioniert Wissenschaft. Diese Unsicherheiten auszuhalten, kostet Kraft.

Aber Verschwörungstheorien und Fake-News bieten keine Lösung, sie verführen.

Sie gaukeln eine Eindeutigkeit und eine Sicherheit vor, die es gerade leider nicht gibt. Eindeutigkeit und Sicherheit fühlen sich für manche Menschen erst einmal gut an, insbesondere wenn sie ökonomisch hart von der Krise getroffen sind. Doch die Folgen dieser Ideologien sind real und gefährlich für uns alle. Die Gefahr läuft auf diesen Protesten mit.

Viele DemonstrantInnen verweigern Masken und missachten sogar grundlegende Abstandsregeln. Die Demonstranten gefährden damit völlig unnötig sich selbst – aber auch ihre Familien, Polizeibeamte, Ärzte, Pfleger und letztlich uns alle. Zudem untergraben die Proteste auch die öffentliche Unterstützung für die Schutzmaßnahmen.

Zwar befürwortet noch immer eine Mehrheit die Corona-Regeln. Aber die Zahl der Befürworter schrumpft. Und der lauten Minderheit scheint es sogar zu gelingen, das Handeln einiger Landesregierungen zu beeinflussen.

Wenn nicht mehr Vorsicht und Wissenschaft die Corona-Politik bestimmen – sondern Ideologien und Emotionen –, schweben bald viele Menschen in Lebensgefahr.

Nicht jeden mögen diese Argumente überzeugen, und das ist okay. Aber selbst diese Menschen sollten den Corona-Demonstrationen fernbleiben. Denn viele der Proteste werden von einer beunruhigenden Mischung aus Reichsbürger, Rechtsextremen und einschlägigen Verschwörungsideologen organisiert.

Wer an ihren Demonstrationen teilnimmt, macht sich mit diesen Menschen gemein.

Zudem ist das Gewaltpotenzial in den Reihen der Protestierenden erschreckend groß: Polizei und Journalisten werden aus den Demonstrationen heraus angegriffen, und in Großbritannien zünden Randalierer Dutzende Mobilfunkmasten an.

Was wir tun können, um eine zweite Infektionswelle zu verhindern.

Wir haben gemeinsam so viel erreicht: Für viele andere Staaten ist Deutschland in der Krise weiterhin ein Vorbild. Um das Erreichte zu sichern, müssen wir eine zweite Infektionswelle verhindern. Jeder kann hierzu einen Beitrag leisten: Dazu gehört zunächst – auch wenn es manchmal unheimlich schwerfällt –, sich weiter penibel an Abstandsregeln und das Tragen von Masken zu halten. Wir sollten weiterhin genau überlegen, wann und wie häufig es wirklich nötig ist, die wiedergewonnene Freiheit zu genießen. Ebenso wichtig ist, dass wir uns einmischen in den öffentlichen Diskurs. Im persönlichen Gespräch, durch einen Leserbrief an die lokale Zeitung oder auch in den sozialen Medien. Wir können Zweifel zerstreuen und Ängsten begegnen. Wir sollten den Verunsicherten einerseits mit Empathie begegnen, aber andererseits in der Sache klare Haltung zeigen, sachlich bleiben – und mit Fakten argumentieren.

Schweigen kann in dieser Situation leicht als Zustimmung verstanden werden.

Dr. Felix Kolb, Campact

Zum Video "So funktioniert campact" geht es hier.