06/07/2020 – Hohe Strompreise sind für Textilunternehmen existenzbedrohend

VTB: Ein Plädoyer für grünes Gas

Das Ziel des Ausstiegs von fossilen Energieträgern hin zu CO2-neuralen Energien stößt in der Praxis auf seine Grenzen. Textilveredler vor der Existensfrage.

Stefan-Thumm.jpg

Stefan Thumm: Erdgas ist derzeit die einzige realpolitisch mögliche, deutsche Brückentechnologie zur CO2-Reduktion, solange die grünen Technologien diese Versorgung in der benötigten Menge zu ökonomisch vertretbaren Preisen nicht übernehmen können. © vtb-bayern

 

CO2-Steuer und neues Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) stellt Textilveredler vor die Existenzfrage.

In der Gesetzgebung wurde übersehen, dass mittelständische Betriebe, die viel Primärenergie für Prozesswärme zur Herstellung ihrer Produkte brauchen, aber nicht am europäischen ETS (Emission-Trade-System) teilnehmen können, dieser Beschluss an den Rand des wirtschaftlichen Abgrunds bringt.

Stefan Thumm, VTB, Leiter Referat Umwelt/Technik/Innovation:

„Dabei wären deutsche Textilveredler schon heute für ein CO2-neutrales Wasserstoffzeitalter gerüstet, denn deren grundlegende technische Infrastruktur passt dafür ideal. Man bräuchte dazu ca. 15-mal so viel grünen bzw. CO2-frei produzierten Strom für das nun beschlossene Wasserstoffzeitalter, als wir heute insgesamt (grün + konventionell) produzieren bzw. importieren.“

Mit Strom Wasserstoff produzieren

Seit langem können Chemiker mit Strom Wasserstoff produzieren. Mit diesem Wasserstoff kann u. a. mit Kohlendioxid aus der Luft Methangas erzeugt werden, das über die bestehende Gasleitungsinfrastruktur bundesweit an die privaten Verbraucher sowie an die Industrie geliefert werden kann. Wird der dazu benötigte Strom CO2-neutral bzw. grün produziert, kann über diesen Weg auch grünes Methangas produziert werden, das sich sowohl stofflich für die Herstellung chemischer Grundstoffe wie auch energetisch für die Erzeugung von Prozesswärme nutzen lässt. Das Prinzip des grünen Gases ist kreislaufbasierend und somit auch CO2-neutral.

Stefan Thumm:

„Textiler können schon heute die bestehende Infrastruktur wie KWK-Gasmotoren zur Erzeugung von Prozesswärme und Strom, gasbetriebene Trockner und modernste gasbetriebene Abluftreinigungsanlagen mit grünem Gas nutzen.“

Kraftwärmekoppelung mit kleinen und mittleren Gasmotoren zur Erzeugung von benötigtem Strom vor Ort und der Nutzung der Abwärme als Prozessenergie funktioniert bei Textilern hervorragend. So könnte bei der Ausnutzung des Gas-Brennstoffes ein Wirkungsgrad von über 90 Prozent erreicht werden.

Zum jetzigen Zeitpunkt allerdings wird das grüne Gas, das auch für alle anderen energieverbrauchenden Sektoren und für eine CO2-neutrale Industrie funktionieren würde, allenfalls in kleinen Pilotanlagen produziert.

Grünes Gas gibt es daher aktuell weder zu einem wettbewerbsfähigen Preis und erst recht nicht in der erforderlichen Menge.

Die bisherige Energiewende betraf maßgeblich die Stromerzeugung, die nur etwa 16 Prozent des Primärenergieverbrauches in Deutschland ausmacht. Allein diese bisher über 1 Bio. Euro kostenden, sehr planwirtschaftlich geprägten Umstellungsbemühungen hat Deutschland, vor allem aufgrund der hohen EEG-Abgaben, die höchsten Strompreise aktuell in Europa und weltweit beschert.

Eine Handlungsempfehlung

Um Planungssicherheit, Ökonomie und Ökologie realweltbezogen auf das in Deutschland derzeit technisch Machbare in Einklang für die Unternehmen und Arbeitnehmer zu bringen, muss die Politik kurzfristig die CO2-Bepreisung auf Erdgas für diese Unternehmen zurücknehmen. Erdgas ist derzeit die einzige realpolitisch mögliche, deutsche Brückentechnologie zur CO2-Reduktion, solange die grünen Technologien diese Versorgung in der benötigten Menge zu ökonomisch vertretbaren Preisen nicht übernehmen können.

Zudem lässt sich Gas mit Kraftwärmekopplung am effizientesten energetisch nutzen. Clever in ein Stromversorgungssystem eingebunden, sind die so geretteten Unternehmen auch ein wichtiger Beitrag zur Grundlastabsicherung, um die Netzstabilität in Deutschland, insbesondere in Bayern, wieder zu stabilisieren. Zunehmende Netzeingriffe zur Netzstabilisierung kosten in Deutschland jährlich allein mittlerweile über 1,7 Mrd. Euro.

Dazu gilt es weiter, umgehend die in den letzten Jahren eingeführte EEG-Belastung der Stromeigenerzeugung für die Unternehmen bei neuen Kraftwärmekupplungsanlagen wieder auf null herunterzufahren, damit wieder Planungssicherheit in die Unternehmen Einzug hält.