20/04/2020 – Fair Wear Foundation plädiert für Deckung der Produktionskosten

Umdenken bei der Zusammenarbeit ist vonnöten!

Der Fokus auf Arbeit in transparenten Verhandlungen nutzt sowohl den Fabriken als auch den Bekleidungsherstellern und -marken.

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Die Fair Wear Foundation arbeitet gemeinsam mit Bekleidungsmarken und anderen Akteuren der Branche an besseren Arbeitsbedingungen für die Menschen, die unsere Kleidung herstellen. Im Bild: Vorbildliche Fabrik in Vietnam © Fair Wear Foundation

 
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Die Fair Wear Foundation drängt auf eine neue Normalität, in der sich die Arbeiter sicher und respektiert fühlen und einen Lohn erhalten, der ausreicht, um ihre Familien zu ernähren. Im Bild: vorbildliche Fertigung in Indien © Fair Wear Foundation

 
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In der Bekleidungsindustrie zeichnet sich ein besorgniserregender Trend ab: Trotz der wachsenden Aufmerksamkeit für bessere Arbeitsbedingungen sinken die Preise für Bekleidungsimporte in Ländern wie Indien und Bangladesch, während die Produktionskosten steigen. Zunehmend kämpfen Fabriken darum, den Kopf über Wasser zu halten. Das gelingt nur, wenn Marken bereit sind, mehr zu zahlen und Verhandlungsprozesse fair sind. Branchenexperte Koen Oosterom skizziert die Probleme und präsentiert eine innovative Lösung.

Deckung der Produktionskosten Beispiel Bangladesch:

Im Dezember 2018 trat in Bangladesch ein neuer gesetzlicher Mindestlohn in Kraft. Gute Nachrichten? Der Anstieg der damit verbundenen Produktionskosten verschärft die schwierige Lage, in der sich viele Fabriken befinden. Die Ursache ihrer Schwierigkeiten ist vielfältig, aber im Kern liegt das Problem darin, dass viele Marken ihre Preise nicht ausreichend ändern, um die Lohnerhöhungen widerzuspiegeln.

Die IAO (UNO-Sonderorganisation für Internationale Arbeitsorganisation, Anmerk. der Redaktion) „Umfrage über Einkaufspraktiken und Arbeitsbedingungen in globalen Lieferketten“ ergab, dass nur 25 Prozent der Käufer/Beschaffer ihre Preise im Zuge einer Erhöhung des Mindestlohns erhöhten. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet Bangladesch, wo nach der Erhöhung des Mindestlohns nur 17 Prozent der Preise geändert wurden.

Darüber hinaus hatten 39 Prozent der Befragten Aufträge angenommen, bei denen der Preis ihre Produktionskosten nicht deckte!

In der Textil- und Bekleidungsindustrie lag die Zahl sogar bei 52 Prozent der Lieferanten.

Die Frage lautet: Was ist der Verbraucher bereit, zu zahlen?

Eurostat-Statistiken zeigen, dass die Bekleidungspreise in Bangladesch zwischen 2014 und 2018 um 3,64 Prozent gesunken sind, obwohl die Produktionskosten in diesem Zeitraum um 30 Prozent gestiegen sind. Dieses Bild ergibt sich auch in der Forschung der Penn State University, die den Preisdruck und die daraus resultierenden sinkenden Preise an die Fabriken meldet.

Warum zahlen Marken nicht genug?

Hauptursachen sind das grundsätzlich fehlerhafte Funktionieren des Markts, und das vorherrschende Machtungleichgewicht zwischen Marke und Fabrik. Ein Teil der Antwort liegt darin, dass Marken projizierte Einzelhandelswerte, d. h. wie viel der Verbraucher bereit ist zu zahlen, benutzen, um den FOB/CMT-Preis zu bestimmen, den die Marke an die Fabrik zahlt. Diese „Top-down“-Verhandlungsart berücksichtigt nicht die tatsächlichen Produktionskosten, einschließlich der Zahlung anständiger Löhne, Investitionen in Sicherheit usw. Die Bottom-up-Kalkulation hingegen, bei der tatsächliche Arbeits- und andere Produktionskosten den FOB/CMT-Preis bestimmen, wird selten praktiziert.

Nach den Regeln spielen

Die Geschäftspraktiken vieler Bekleidungsmarken stehen nicht im Einklang mit den OECD-Leitlinien für die Sorgfaltspflicht für verantwortungsvolle Lieferketten im Bekleidungs- und Schuhsektor, die unter anderem von den Unternehmen verlangen:

- Ihre Managementsysteme zu stärken, um so Schaden durch ihre Einkaufspraktiken zu vermeiden.

- Preismodelle zu entwickeln, die die Kosten für Löhne, Sozialversicherungen und Investitionen in menschenwürdige Arbeit berücksichtigen.

Es ist bemerkenswert, dass die meisten Marken eine Preiserhöhung akzeptieren, wenn die Stoffkosten steigen oder die Wechselkurse schwanken, aber sobald der Mindestlohn steigt, wird angefangen zu feilschen. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die Arbeitskosten oft im CM-Preis einer Fabrik versteckt sind, der normalerweise auch Gemeinkosten und Gewinn einschließt. Ist die tatsächliche Arbeitskomponente eines FOB-Preises nicht bekannt, wird es schwierig, die notwendige Preiserhöhung auszuhandeln, wenn die Löhne steigen.

Der Labour Minute Costing Tool:

Der Arbeitsminutenrechner spielt für Bekleidungsmarken eine wesentliche Rolle bei der Schaffung der notwendigen Vorraussetzungen, die es einer Fabrik ermöglichen, gute Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Wenn die Löhne steigen, müssen die Einkaufspreise nachziehen! Wenn eine Marke versteht, wie hoch der Preis für Arbeit ist, besteht eine größere Chance auf faire Verhandlungen. Fair Wear hat Werkzeuge entwickelt, die Fabriken und Marken dabei helfen.

Die „Labour-Minute-“ und „Product-Costing-Tools“ von Fair Wear bieten die erforderliche Transparenz und Präzision bei der Bestimmung der Arbeitskomponente in Kosten-Preis-Verhandlungen. Die Methodik verwendet die tatsächlichen Lohndaten einer Fabrik, und berechnet, wie viel es kosten würde, Mindestlöhne zu decken oder die Löhne auf einen existenzsichernden Lohn zu erhöhen.

So funktioniert’s

Erstens ermöglicht der Rechner Lieferanten und Einkäufern, die Kosten einer Minute Arbeit in einer Fabrik zu bestimmen, unter Berücksichtigung werksspezifischer Variablen wie Zusammensetzung der Belegschaft, Boni und Versicherungen und tatsächliche Überstunden. Als nächstes muss der Preis für eine Minute mit der Anzahl der für die Herstellung eines Kleidungsstücks benötigten Nähminuten multipliziert werden, wobei die Effizienz berücksichtigt wird. Das Ergebnis: die tatsächlichen Arbeitskosten für ein bestimmtes Produkt. Wenn die Löhne aufgrund einer Mindestlohnerhöhung, der Anwendung eines CBA-Lohnes oder eines Richtwertes für den existenzsichernden Lohn steigen, ermöglicht das Tool einer Fabrik die Berechnung der Auswirkungen einer solchen Erhöhung auf den Herstellungspreis (CMT oder FOB) von Kleidungsstücken.

Gemeinsame Verantwortung

Diese Methode hilft den Fabriken, eine bestimmte Preiserhöhung zu rechtfertigen. Verantwortungsbewusstere Marken können damit zeigen, dazu beigetragen zu haben, dass eine Fabrik zumindest den gesetzlichen Mindestlohn decken kann. Fortschrittlichere Marken nutzen sie bereits, um auf existenzsichernde Löhne in ihren Zulieferbetrieben hinzuarbeiten. Mit diesem Instrument können sie zeigen, dass sie die Verantwortung für ihren Anteil an der Gesamtproduktion übernehmen. Die Fabriken müssen sich verbessern und sicherstellen, dass sie faire Preise zahlen, die auf den tatsächlichen Produktionskosten basieren, und nicht auf dem, „was der Verbraucher zu zahlen bereit ist.“ Eine Zusammenarbeit in Richtung Kostentransparenz kann die nachteilige „Verhandlungskultur“ vermindern: eine Win-Win-Situation für die Marke und die Fabrik.

Die Fair Wear Foundation

Die Fair Wear Foundation arbeitet gemeinsam mit Bekleidungsmarken und anderen Akteuren der Branche an besseren Arbeitsbedingungen für die Menschen, die unsere Kleidung herstellen. Obwohl wir sie nicht kennen und sie uns nicht kennen, sind wir durch das, was wir tragen, miteinander verbunden. Die Männer und Frauen, die in den Bekleidungsfabriken arbeiten, sind oft noch immer unter gefährlichen, prekären und missbräuchlichen Bedingungen zu Armutslöhnen beschäftigt. Deshalb drängt die Fair Wear Foundation auf eine neue Normalität, in der sich die Arbeiter sicher und respektiert fühlen und einen Lohn erhalten, der ausreicht, um ihre Familien zu ernähren. Fair-Wear-Marken zeigen, dass es einen besseren Weg gibt, Kleidung herzustellen, einen Weg, der die Menschen, die sie herstellen, in den Mittelpunkt stellt. Wir sind entschlossen, das zur neuen Normalität zu machen.

Aus aktuellem Anlass hat die Organisation in einem Dossier wichtige Informationen zu Covid-19 zusammengestellt. Zum Dossier (auf englisch) geht es HIER.

Koen Oosterom, Fair Wear Foundation