22/12/2021 – Supply Chain
Mehr als eine Reihe von Einzelteilen
Angesichts der weltweiten Versorgungsengpässe wird klar: Es ist wichtig, die gesamte Lieferkette von Anfang bis Ende zu kontrollieren und zu koordinieren. – ein Gastbeitrag von Pieter Van den Broecke
Logistikleistungen sind für praktisch alle Wirtschaftsunternehmen von hoher Bedeutung. Allerdings unterschätzen Unternehmen die Auswirkungen von Störungen in diesem Bereich teilweise noch. Gerade in der Textilbranche ist es wichtig, die gesamte Lieferkette von Anfang bis Ende zu kontrollieren und zu koordinieren, um effizient zu agieren und jederzeit lieferfähig zu sein. Das zeigt sich umso stärker angesichts der aktuellen weltweiten Versorgungsengpässe.
Ob Handel oder Hersteller – Logistik ist für alle Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf dem Verkauf von physischen Produkten aufbaut, elementarer Bestandteil. Denn Logistik und Supply Chain sind untrennbar miteinander verbunden, und zwar ganz unabhängig davon, ob die Produktion selbst oder bei externen Herstellern beauftragt wird und ob das Lager selbst oder von einem Dienstleister betrieben wird.
IT-seitig betrachtet drückt sich diese Bedeutung bei größeren Unternehmen darin aus, dass entlang der Lieferkette verschiedene Systeme die Warenströme lenken – in denen Produkte sowie die dazugehörige Logistik jeweils aus einer anderen Perspektive betrachtet werden. Die bekanntesten drei Systeme sind Transport-Management (TMS), Warehouse-Management (WMS) und Order-Management (OMS).
- TMS betrachten die Produkte als Transportgut, die Logistik ist hier gleichbedeutend mit Transport.
- WMS sehen die Produkte als Waren im Lager, die Logistik unter anderem als Intralogistik.
- OMS verwalten Aufträge, Bestellungen und Retouren. Die Produkte sind dabei die Mittel zur Auftragserfüllung. Die Logistik stellt sich in diesem Zusammenhang in der Regel als Speditions- oder Paketdienstleistung dar. Sie ist hier die Brücke zum Kunden.
Eng mit dem OMS verbunden sind adäquate Omnichannel-Lösungen – sowohl in der IT als auch in der praktischen Warenorganisation.
Flexibel reagieren mit modernen OMS-Lösungen
Je moderner und agiler die Systeme sind, desto effizienter können die Güter verwaltet werden und desto spontaner kann ein Unternehmen auf kurzfristige Veränderungen im Konsumentenverhalten reagieren. So wie der US-amerikanische Mode-Filialist PVH Fashion mit Marken wie Tommy Hilfiger oder Calvin Klein: Im Corona-Lockdown lagen hochwertige Kleidung und Accessoires in den plötzlich geschlossenen Filialen. Gleichzeitig legten die Online-Bestellungen um 70 % zu. Zudem fragten die Kunden neue Konzepte der Warenübergabe nach, die sowohl kontaktlos als auch schnell sein sollten. Mit Hilfe moderner OMS- und Omnichannel-Lösungen wurden die Läden von PVH zu kleinen Multi-Fullfilment-Zentren, die Abholungen im beziehungsweise vor dem Geschäft genauso anbieten konnten wie den Versand.
Andere Händler hatten keine so flexiblen OMS-Lösungen und konnten viele – bereits vor der Pandemie georderten – Waren nicht verkaufen. Inzwischen hat sich die Lage umgekehrt: Der Lockdown ist vorbei, die Kunden kaufen wieder (auch) vor Ort ein – allerdings sind in der Pandemie die Lieferketten derart durcheinander geraten, dass jetzt an vielen Stellen der Nachschub fehlt. Bei monatlichen Kollektionswechseln und einer Angebotsdauer von zwölf Wochen, wie in der Modebranche oft üblich, führen diese Verzögerungen zu leeren Regalen auf der einen und zu viel gleichzeitig ankommender Ware auf der anderen Seite.
Angesichts dieser Herausforderungen sollten daher gerade Modeunternehmen das Thema Lieferketten-Transparenz in den Fokus nehmen – allein um ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass deren reibungsloser Ablauf nicht selbstverständlich ist. So können Störungen etwa in der Zulieferung frühzeitig erkannt und Maßnahmen ergriffen werden, die eine Out-of-Stock-Situation verhindern.
IT-Systeme: Einzelkämpfer oder Teamplayer?
In der Praxis sind die eingangs erwähnten Management-Systeme aber noch überwiegend Silo-Lösungen mit einer begrenzten Spanne integrierbarer Sub-Systeme und kaum Verbindungen untereinander. Transparenz über die ganze Lieferkette hinweg ist hier schwer zu generieren.
Dabei zeigt auch ein Blick auf die jeweiligen Aufgaben der verschiedenen Management-Systeme, dass genau da großes Optimierungspotential schlummert – denn sie sind kaum voneinander abzugrenzen. Ein Beispiel: Das OMS prüft die Verfügbarkeit eines bestellten Produkts. Als Lagerbestand ist genau dieses Produkt Teil der natürlichen Domäne des WMS. Ist sie im Zulauf, wird sie auch im TMS erfasst sein. Idealerweise „kommunizieren“ alle Systeme miteinander und ermöglichen so eine ganzheitliche Betrachtung der Supply Chain mit allen darin enthaltenen Ressourcen – auch den Logistikleistungen.
Allein damit lässt sich der Nutzen der Systeme schon enorm steigern. Werden alle Aspekte und Schritte entlang der Supply Chain End-to-End in einem einzigen, integrierten System zusammenführt und harmonisiert, in dem KI und Machine Learning die Auswertung und Anwendung der Daten übernehmen, lässt sich die derzeit höchstmögliche Effizienz erzielen. Das kommt nicht nur der Rentabilität, der Liefersicherheit und damit der Kundenerfahrung zugute, sondern auch der Umwelt. Versionslose, Cloud-native, aus Microservices, also einzelnen Programmbausteinen, aufgebaute Systeme, lassen sich dabei schnell und einfach skalieren. Für die Umsetzung eines entsprechenden System-Wandels empfiehlt es sich, das Bewusstsein für die Bedeutung der Supply Chain im Unternehmen spürbar zu erhöhen, also auch entsprechende Investitionen einzukalkulieren, eine einheitliche Supply Chain-Roadmap zu entwickeln und sich organisatorischen Veränderungen zu öffnen, um das optimale Ergebnis zu erzielen.
Autor: Pieter Van den Broecke, Managing Director Benelux and Germany, Manhattan Associates