02/02/2021 – F/S 2022 WandelMut

VDMD Trend-Puls für Sommer 2022

Die Zeit steht wie still, der Puls ist noch nicht beschleunigt. Nachdenklichkeit. Während dieses „Warten auf“ hat sich vieles verändert und bewegt.

VDMD-Trend-Puls-fuer-Sommer.jpeg

Thema 1: LebensRaum im Wandel. © VDMD

 
VDMD-Trend-Puls-fuer-Sommer.jpeg

Thema 2: NaturVerstehen im Wandel. © VDMD

 
Show all images

Corona beschleunigt den Wandel unserer Gesellschaft, der Politik und der Wirtschaft. Ein neues Miteinander hat begonnen in gegenseitiger Wertschätzung und veränderten Narrativen. In Textil und Mode wird der Wandel –wie seit jeher – am schnellsten und deutlich sichtbar.

Wie zeigt sich der Wandel?

Der Fokus auf unsere Produkte verändert sich. War bisher das „Was“, die Sortimente und deren Funktionen im Mittelpunkt, ist es in Zukunft das „Wie“, welches Material, Form, Farbe und Inhalt bestimmt. Wie fühlen wir, und wie drückt sich dies aus in Material, in Farbe, in Form? Welche Haltung nehmen wir ein für den Willen zur Nachhaltigkeit? Nicht nur für das Produkt selbst, sondern auch für dessen Entstehung, Entwicklung und seiner Kommunikationswege?

  • Wirtschaft und davon Mode und Textil haben eine große Verantwortung, diesen Wandel – zusammen mit ihren Kreativen – bewusst mitzugestalten und nach außen zu tragen.

Das Neue Denken führt zu einem starken Zusammenhalt, dessen neue Haltung dazu bewegt, Stellung zu beziehen, sich einzumischen und zu handeln.

Aus diesen Gedanken hat sich im TrendResearchTeam des VDMD das große Thema „WandelMut“ herauskristallisiert mit seinen vier Unterthemen „LebensRaum im Wandel“, „NaturVerstehen im Wandel“, „KulturWelten im Wandel“, „Generationen im Wandel“, die unsere Gesellschaft, sprich Kunden spiegeln.

  •  Thema 1: LebensRaum im Wandel

LebensRaum meint unsere direkte Umwelt, unser Wohnen, unseren Beruf, unsere Nachbarn und dem WIR im Miteinander. Wir sehnen uns nach Entschleunigung, nach Ruhe, nach Echtheit und Ehrlichkeit. Wir wollen Anerkennung und empathische Zuwendung um unserer selbst willen.

Der sensible achtsame Umgang miteinander drückt sich in zarter, zurückhaltender Farbigkeit aus:

Pastelltöne, sanfte gedeckte Töne mit Eyecatcher, weiche matte Farben, die Seele haben, wie Apricot und warme Rosé-Töne, Sand und Zimt. Hart und weich, kühl und warm, puristisch und emotional, farbig und unifarben. Fossile Natursteine stehen Pate für Inspiration und Beachtung.

Für die Gestaltung der Outfits steht in Zukunft die Kommunikation im Vordergrund.

Wie ziehe ich mich im Home-Office an, wie in den kurzen Begegnungen mit Maske? Mit welchen Botschaften werde ich abgeholt, mit welcher Optik hole ich mein Gegenüber ab? Die Feinnervigkeit in den Dessins und die Wahl der Unis spiegeln unsere Gefühle. Nach wie vor ist die graphische Optik im Vordergrund, jedoch mit Inhalten, die kommuniziert werden sollen. Ein Austausch von Gedanken und Lebensweise, symbolisiert im Material, im Druck und über das Outfit. Dafür wird es Gespräche geben müssen – direkt mit den Kunden, die sich durch Corona in ihrem Selbstverständnis stark geändert haben. Wir müssen sie neu kennenlernen.

  • Thema 2: NaturVerstehen im Wandel

NaturVerstehen meint Hineinlauschen in die Natur, sie verstehen, sie begreifen, sie achten, respektieren und wertschätzen in all ihren Facetten und Erscheinungsformen. Nicht mehr nur Abscheu empfinden vor Massentierhaltung und Abschlachtungen von gezüchteten Tieren, sondern weniger davon konsumieren und von dort kein Fleisch mehr kaufen. Wir wollen eine intakte Natur, die uns wieder beschenkt und nicht bekämpft. Wir holen gewachsene Natur und lebendige Tiere als Freunde näher an uns heran.

Phänomene – wie Wind, Sonne, Wolken, Wasser – und Pflanzen aus der Natur dienen als Inspiration für die gefühlte Farbgebung:

Weiß als Träger, Champagner, Blautöne die gesättigt bis abgepudert erscheinen und vielschichtige Grüntöne. Hell und dunkel, natürlich und technisch, diffus und klar, himmlisch und wässrig. In der Gegensätzlichkeit zwischen Gewachsenem und Erforschtem erwächst eine spannende Symbiose.

Für die Gestaltung steht das an sich Herannehmen der Natur im Vordergrund.

Das kann sich in blumigen Dessinierungen ausdrücken, in Pflanzenmotiven, in Tiermotiven, Insekten, aber auch in Wolken, sonnenbeschiedenen Landschaften oder einfarbig in den Farben der Natur, der Luft, des Wassers, Gesteinen und Hölzern. Farbspiele in Gläsern und Gewässern, Lichtreflexe, abgeblätterte Sujets, natürlich Gealtertes oder Geflammtes bereichern die Darstellungen. Die Materialien sind per se in allen Themen der Nachhaltigkeit gewidmet. In diesem Thema werden sie zusammen mit Recycling, Upcycling und neuen Fasern aus Abfällen vorgestellt. Die Oberflächen ergeben sich meist aus der Faser selbst. Als Beispiel sei die indische Seide des Designers Chandra Prakash genannt, der den Deutschen Designpreis für nachhaltige Produkte erhalten hat. Er lässt den Schmetterling aus seinem Cocoon schlüpfen, ja – hilft ihm sogar mit einem kleinen Schnitt in den Cocoon und verarbeitet dann erst den Seidenfaden zu Schappseide. Wir wollen angekommen sein in der Natur und liebevoll mit ihr zusammenleben.

  • Thema 3: KulturWelten im Wandel

KulturWelten meint die unendlichen Facetten und Lebensweisen von Menschen, in den unterschiedlichsten Ländern und Erdteilen, die respektiert werden in ihrer Eigenart, ohne den Anspruch aufzugeben, dass auch unsere heimische Kultur geachtet und gesehen werden muss. Erworbene und erlebte Erinnerungsstücke werden in ein modernes Umfeld gebracht. Entscheidend ist das aufeinander Zugehen in Farben Formen und Visualisierungen.

Die Farbigkeit macht sich an den Tänzen und der Folklore fest, die längst global zugänglich geworden ist.

Wir nehmen sie herein zu uns mit ihrer ganzen Emotionalität. Rot- und Violett-Töne sind ganz im Vordergrund, aber auch schweres Gold und im Kontrast dazu zarte Pastelle. Auch hier spielen Gegensätze eine entscheidende Rolle: buntfarbig und unifarbig, emotional und nachdenklich, feurig und zurückhaltend.

Die Modernität der Outfits spielt sich im Hereinnehmen von sportiven Details.

Eine zurückgenommene Opulenz, geprägt von Lebensfreude, Leichtigkeit und südländischer Gelassenheit. Materialien dürfen aus dem Archiv genommen werden in ihrer natürlichen Schwere und mit ihrem Volumen. Traditionsreiche Stoffe – wie Samt, Jacquard, Grobwebungen und Duchesse – kommen wieder ins Spiel. Handcraft, bisher im Naturthema angesiedelt, bricht sich in Form von Ponchos, Capes, Makramee-Westen und geflochtenen Accessoires Bahn. Stickereien von Bohoblumen, metallische Elemente, Pailletten – Glanzapplikationen auf Matt – runden das Bild ab. Das Thema bleibt dem Auftritt treu, wird jedoch gleichzeitig in den ganz normalen Alltag hineingetragen.

  • Thema 4: Generationen im Wandel

Generationen meint die Aufhebung der biologischen Altersgrenzen. Erfahrung und gegenseitiger Austausch machen den vergangenen Generationskonflikten Platz. Wir lernen voneinander, wie wir zu einer Welt kommen, in der Frieden, Umweltbewusstsein, Nachhaltigkeit, Liebe und Auskommen und, dass ohne Gier nach Mehr, höchste Priorität hat. Unsere Jugendlichen sind geerdet und hochinteressiert, eine nachhaltige Welt zu gestalten und ziehen die vorgehenden Generationen mit. Das geschieht ohne Leidensdruck und Oppositionsgefühlen, eine Miteinander-Vernunft entsteht. Die Großelterngeneration ist im Kopf jung geblieben, 40+ geistig und seelisch. Ein Thema stärkster Polarisierung, da hier Meinungen, Haltungen, Denken und Handeln von Gruppierungen kompromisslos aufeinanderprallen. Spaß haben und kritisches Denken, Party feiern und sich auf sich selbst besinnen, stehen einvernehmlich beieinander.

Für den Farbausdruck stehen Partygetränke. Sie symbolisieren die Zerrissenheit dieses Themas.

Starkfarbigkeit neben sensiblen Pastellen, sportliche Leichtigkeit, die in der Umgebung farblich aufgeht neben auffallenden Neons; gesehen werden wollen neben – ich will nicht beachtet werden: mutig und vorsichtig, sensibel und vital, introvertiert und extrovertiert. Die Leichtigkeit des Seins neben tiefem Nachdenken. Die Materialien haben experimentellen Tiefgang: alles, was nicht cradle to cradle und recycelt werden kann, wird neu verwendet mit Konzepten, die einen anders gearteten Kreislauf hervorbringen: immer neu verwenden für Produkte, die Sinn machen, die andere verschmutzende ersetzen.

Die Outfits müssen Geschichten erzählen, in Sprache bringen, was die Generationen bewegt und dadurch an andere weitergereicht werden.

Das neue Wort „narrativ“ steht in dem Thema im Vordergrund und bringt die Mode-Kultur in ein Licht, an dem die Kunden Freude haben werden und positive Energie ziehen können. Technik und Individualität, Digitalität und analoger Dialog sind kein Gegensatz mehr, sondern rücken Seite an Seite in die Zukunft. Mode-Kultur als die Chance für sichtbare Zukunftsentwicklung.

Mara Michel