05/11/2015 – ITV Denkendorf

Innovative Multiaxialgewebe für den textilen Leichtbau

ITV Denkendorf entwickelt mit Open Reed Weave Technologie (ORW) belastungskonforme Verstärkungsgewebe mit bis zu vier Fadenachsen 

Gelegeartige Gewebestruktur eines UD Glasgewebes mit Dreherbindung - Bild 1
(Photos: ITV Denkendorf)

Gelegeartige Gewebestruktur eines UD Glasgewebes mit Dreherbindung - Bild 1 (Photos: ITV Denkendorf)

 
0/90° Glasgewebe mit diagonaler Glasverstärkung, Verlegewinkel 45° - Bild 2

0/90° Glasgewebe mit diagonaler Glasverstärkung, Verlegewinkel 45° - Bild 2

 
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Energetische Rohstoffe werden knapp und die Umweltbelastung steigt. Deswegen wächst gerade im Fahrzeugbau der Bedarf an anwendungsgerechten Leichtbaukomponenten aus optimierten Faserverbundwerkstoffen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die belastungskonforme Ablage der Faserrovings. Bisher konnten mit Geweben nur bidirektionale Verstärkungen in 0/90° realisiert werden. Dem ITV Denkendorf gelang es durch den Einsatz der ORW-Webtechnologie Verstärkungsgewebe mit bis zu vier Fadenachsen zu fertigen. Entwickelt wurden Gewebe mit flächiger und mit lokal begrenzter multiaxialer Verstärkung. In einem weiteren Projekt entstanden multiaxiale Gewebestrukturen mit lichtlenkenden Eigenschaften

Als textile Verstärkungsstrukturen kommen Gewebe, Gelege, Gestricke, Geflechte, Gesticke und Vliesmatten in Frage. Um eine maximale Verstärkungswirkung zu erzielen, sollten die Fasern im Bauteil ondulationsfrei und konform zur Belastungsrichtung liegen. Aus diesem Grund wurden bisher für die Herstellung von Composites vorzugsweise Gelegestrukturen entwickelt und verwendet. Nachteil dieser Strukturen ist, dass aufgrund der relativ losen Verbindung der Faserlagen eine exakte Faserorientierung in Belastungsrichtung nicht immer gewährleistet werden kann. Mit der am ITV Denkendorf seit Oktober 2013 installierten ORW-Webmaschine gelang es erstmals, unidirektionale, orthogonale wie auch multiaxiale Verstärkungslagen stabil miteinander zu verbinden. Dadurch verringert sich nicht nur die Anzahl der Gewebelagen im konsolidierten Bauteil, sondern es verbessert sich auch deren Bruch-, Biege-, Torsions- und Scherverhalten.

Begonnen wurden die Untersuchungen zunächst mit gelegeartigen, unidirektionalen Drehergeweben mit Verstärkung in 90°. Je nach Anforderung lag der Schwerpunkt auf einer sehr hohen mechanischen Belastbarkeit, guter Drapierbarkeit oder Formbeständigkeit. Dies wurde erreicht, indem anstelle der konventionellen Halbdreherbindung (Bild 1) unterschiedliche Kreuz-dreherbindungen sowie Kombinationen aus Dreherbindung mit verschiedenartig lang flottierenden Schaftbindungen verwendet wurden.

Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wurden Verstärkungsgewebe mit flächig angeordneten multiaxialen Webstrukturen hergestellt. Um ein dichtes, bidirektionales Grundgewebe aus Glasfasern mit zusätzlicher Verstärkung in ±45° Richtung zu erhalten (Bild 2), reichte es nicht aus, nur die feinen PES-Zwirne in der Grundkette und im Multiaxialbereich gegen Glasrovings auszutauschen. Für einen störungsfreien Webmaschinenlauf war es notwendig, die Zuführung der Multiaxialfäden neu zu gestalten. Mit diesen Versuchen konnte gezeigt werden, dass sich die in Abhängigkeit des jeweiligen Anwendungsfalls gewünschten Gewebeeigenschaften durch Variation der Verlegeart, des Verlegewinkels und des Verlegehubs der Glasrovings im Multiaxialbereich sowie über die Art der Grundbindung gezielt einstellen lassen.

Eine belastungskonforme Erhöhung der Festigkeit des konsolidierten Bauteils lässt sich erreichen, indem die Glasrovings im Gewebe zum Beispiel teilweise durch Carbonrovings ersetzt werden. Die lokalen Verstärkungen lassen sich dabei nicht nur in Kett- und/oder Schussrichtung sondern auch im Multiaxialbereich in das Gewebe integrieren (Bild 3).Besonders interessant ist die ORW-Webtechnologie für Bauteile, die nur lokal zu verstärken sind.

Mithilfe der frei programmierbaren Verlegung der Multiaxialfäden kann die Verstärkung den Konturen des Bauteils folgend in das bidirektionale Grundgewebe eingesetzt werden. Im Rahmen des mit dem Fraunhofer ICT gemeinsam durchgeführten AiF-Projekts „Multiaxiale Hochleistungs-Gewebekonstruktionen“ wurde dies anhand eines in den Heckdeckel integrierten „Lampentopfs“ eindrucksvoll demonstriert (Bild 4). Um in den stärker belasteten Zonen die erforderlichen Bauteileigenschaften zu erzielen, muss nicht mehr – wie bei der in Bild 4 dargestellten Vorgängerversion – das gesamte Teil aus Carbon gefertigt werden, sondern es genügt, wenn nur die belastungskritischen Bereiche lokal mit Carbon verstärkt werden (Bild 5). Dass sich die ORW-Webtechnologie nicht nur für die Herstellung von Verstärkungsgeweben für Faserverbunde, sondern zum Beispiel auch für die Fertigung lichtlenkender Textilien eignet, zeigte ein weiteres AiF-Projekt. Über die Auswahl der Garne und die Parametrisierung der vier Webachsen gelang es, die Webstruktur so zu gestalten, dass das einfallende Tageslicht bzw. helles Kunstlicht definiert und dadurch energieeffizient über das Textil gelenkt werden kann (Bild 6). Damit ergeben sich völlig neue Ansätze für ein innovatives Lichtmanagement und für die Raumausleuchtung.

Danksagung Das IGF-Vorhaben 462 ZN/2 der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V., Reinhardtstraße 12-14, 10117 Berlin wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Für diese Förderung danken wir.

Der Abschlussbericht des Forschungsvorhabens „Multiaxiale Hochleistungs-Gewebekonstruktionen und deren belastungskonforme Nutzung zu Leichtbau-Composites mit unterschiedlichen Matrices“ (IGF-Nr. 462 ZN/2) ist ab April 2016 am Institut für Textil- und Verfahrenstechnik, Denkendorf erhältlich.