22/07/2020 – Leder: veganer, recycelbarer Lederersatz

ScobyTec: Die Zeit ist reif für synthetische Biologie

"Mit zunehmender Digitalisierung eröffnet die Biologisierung zahlreicher Prozesse zugleich auch neue Möglichkeiten“. - Thomas Strobel, Zukunftslotse

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Mit nicht brennbarem(!) Lederersatz auf Basis bakterieller Zellulose, nicht fossilen oder tierischen Ursprungs geben Carolin Wendel (Foto li.), Bernhard Schipper und Carolin Schulze als interdisziplinäres Entwicklungsteam einen ersten Einblick in fantastische Zukunftswelten. © ScobyTec

 
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Lederersatz: bunt, unbrennbar, geschmeidig. © scobytec

 

Nach der Digitalisierung ist die Biologisierung der nächste große Wachstumsmarkt. ScobyTec aus Leipzig verfolgt diesen Trend schon seit 2014 – und ist mit seinem künstlichen Leder der Zeit zumindest in old Germany noch etwas voraus.

 Drei GründerInnen, ein Ding

Mit nicht brennbarem (!) Lederersatz auf Basis bakterieller Zellulose, nicht fossilen oder tierischen Ursprungs geben Carolin Wendel, Bernhard Schipper und Carolin Schulze als interdisziplinäres Entwicklungsteam einen ersten Einblick in fantastische Zukunftswelten. Sie lassen sich mit einem Halbsatz auf einen Nenner bringen: Produktion auf Grundlage natürlicher Wachstumsprozesse im Einklang mit Natur und Umwelt – und das sogar noch standortunabhängig.

Schlussendlich entsteht bei ScobyTec ein geschmeidiges lederähnliches Material, das frei von chemischen Zusätzen ist und sich rückstandslos kompostieren lässt. Die gute Nachricht für alle traditionelle Lederverarbeiter: Sie können ScobyTec BNC auf herkömmliche Weise mit ihrem normalen Maschinenpark verarbeiten.

 Für Taschen, Schuhe, Accessoires

 Leder ohne gegerbtes Fell als Ausgangspunkt für Autositze, Gürtel oder Schuhe? CEO Wendel erklärt wie aus bakterieller Zellulose ein neuer Flächenwerkstoff in Form eines Vliesstoffes mit hoher Dichte, Materialintensität und mit lederähnlichen Eigenschaften wird.

Man nehme Kohlehydrate, fermentiere diese und erzeuge mit symbiotischen Bakterien- und Hefekulturen das Grundmaterial für den Lederersatz. Erste Prototypen zum Einsatz des neuen biologischen Materials für Taschen, Schuhe und Accessoires ließen nicht nur die Presse aufhorchen.

Das vegane Leder überzeugte bereits auch Juroren, die dem Dreierteam den Hugo-Junkers-Preis für Forschung und Innovation aus Sachsen-Anhalt 2019: 1. Platz in der Kategorie Innovativste Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle.

Gelänge es langfristig, dieses nachhaltige Material in der gesamten Herstellungskette zum vergleichbaren Kosten-Nutzen-Faktor und zu gleichen Qualitäten wie konventionelles Leder auf den Markt zu bringen, wäre das nicht nur ein Zeichen, sondern für den Standort Deutschland auch ein wirklich großer Wurf.

Das neue ScobyTec-Plattformmaterial ist mit Blick u. a. auf Bekleidung, Möbel und Automotive ein universell einsetzbarer Rohstoff und könnte selbst auf dem Mond und „on demand“ hergestellt werden.

 Jetzt, wo die Technologie dafür „steht“, gelte es über die „Petrischale hinaus zu denken“, sagt Carolin Wendel. Deswegen arbeitet das Startup an der Wirtschaftlichkeit künftiger großindustrieller Prozesse. Mittelfristiges Ziel sei zunächst der Aufbau einer Pilotanlage als Vorstufe für spätere Volumenproduktion. „Wir sind dafür mit VC-Gebern im Gespräch.“

Für die Anlage, die idealerweise im mitteldeutschen Chemiedreieck stehen könnte („aber auch woanders in Deutschland“) sucht das Unternehmen einen Strategiepartner aus den Bereichen Chemie, Pharma oder Biotechnologie, der drei Millionen Euro einbringt.

 „Biofabrikation“ als additive Fertigungstechnik steckt in Deutschland trotz erster Studiengänge und 3D-Druck-Erfolgen noch in den Kinderschuhen. Forschungsbasierte Akteure auf dem Weg zu postindustriellen Konzepten kommen vor allem aus den USA und Asien. Sie haben begonnen, ihre Claims im Milliardenmarkt biomedizinischer Produkte für medizinisch-pharmazeutische Anwendungen, darunter Diagnostika, Gewebestrukturen und vielleicht später auch kompletter menschlicher Organe, abzustecken. Biofabrizierte, mikrobiell synthetisierte Werkstoffe könnten zukünftig die Frage nach ressourcenschonender, energie- und wassersparender Produktion von kreislauffähigen Materialien beantworten.