11/02/2019 – Forschung
Transfer als nationale Aufgabe
„Viele Innovationen aus Deutschland wandern nach Asien oder, wie in jüngster Zeit, häufig in europäische Nachbarländer ab. Das muss sich ändern!“
Für Sven Böhmer, Verkaufsleiter bei der Statex Produktions- und Vertriebs GmbH ist klar, dass innovative Ideen künftig besser und schnellstmöglich auf den Markt kommen müssen.
Jeder Mittelständler kennt die einzelnen Innovationsschritte bei neuen Produkten: Entwicklung, Marktreife, Produktion und Verkauf.
Entwicklung und Marktreife
Um insbesondere die ersten beiden Aspekte zu unterstützen, findet jedes Jahr im Juni in Berlin eine besondere Open Air-Messe statt: der Innovationstag Mittelstand des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi). Zu sehen sind zum Teil spektakuläre Resultate aus Forschung und Entwicklung – allesamt Ergebnisse Technologie offener Förderung, etwa ein hochzugfestes Spannband aus unidirektional verstärktem Glasfaser-Polypropylen-Tape für die Fixierung von Gasflaschen und später auch Tanks. Diese prototypische Weltneuheit aus Metall- und Faserverbundkunststoff aus einem sächsischen Netzwerk ersetzt die herkömmliche Verzurrung aus Stahl.
ADD International Textile Conference
Ebenfalls jährlich – und das seit sieben Jahren – weist das Forschungskuatorium Textil (FKT) mit einem Transferforum als Bestandteil der ADD International Textile Conference auf Möglichkeiten einer schnelleren Ideenumsetzung hin. In Kurzform geht es um die Kopplung zweier Programme des BMWi: die vorwettbewerbliche Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF) und mit dem transferorientierten Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM). Auf diese Weise kommen zum Beispiel selbstklebende Garne für flüssigkeitsdichte Nähte oder ein textiles Heizsystem für feucht-kritische Innendämmkonstruktionen schneller in Marktnähe.
Oft erst IGF, dann ZIM für den Transfer
Seit 2008 wurden allein aus dem ZIM-Topf für mehr als 700 solcher Projekte der Textil- und Bekleidungsindustrie Fördermittel in Höhe von über 70 Mio. Euro bewilligt – 76 ZIM-Kooperationsaufgaben sind allein 2018 gestartet worden. Wenn es für die Branche forschungsmäßig um anwendungsbezogenes Neuland wie im Falle Smart Textiles, Carbonbeton oder Digitalisierungstechnologien geht, kann die deutsche Industrie auf eine dem vorgelagerte, absolut unikate Fördersäule zurückgreifen: das IGF-Programm. Damit lässt sich der Bedarf der Industrie in Vorlaufforschungsprojekten thematisieren, die dann von anwendungsnahen Wissenschaftseinrichtungen wie den 16 Textilforschungsinstituten umgesetzt werden. 2018 wurden nach Auskunft des Forschungskuratoriums Textil 63 neue IGF-Projekte in Gesamthöhe von 18,6 Mio. Euro bewilligt.
Fördergelder: Textil greift am häufigsten zu
Forschungsvereinigung IGF-Fördermittel in Mio. Euro
Textil 17,64
Ernährung 12,96
Schweißen 12,34
Stahlanwendung 10,38
Antriebstechnik 6,85
Verteilung der IGF-Fördermittel
Der Hauptgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF), die seit Mitte der 50er-Jahre das IGF-Programm managt, will mit seiner Einrichtung den Transfer noch wirksamer unterstützen und sie gegebenenfalls in eine noch zu bildende nationale Transferagentur einbringen. Dr. Thomas Kathöfer betonte deshalb kürzlich vor Textiler: Der Ruf nach verbesserten Transferaktivitäten in Zeiten sinkender FuE-Aktivitäten im Mittelstand ziehe sich wie ein roter Faden durch den Koalitionsvertrag; zudem werde das BMWi eine Transferinitiative ausarbeiten. Aus seiner Sicht sei es nach wie vor ein Dilemma für technologieorientiere Unternehmen mittelständischer Prägung, nur über ungenügend eigene Ressourcen für eigene Forschung und Entwicklung zu verfügen. Förderung an dieser Stelle sei Nachteilskompensation.
Personaltransfer – ein nicht zu unterschätzender Faktor
Über das IGF-Programm organisiere die AIF als Forschungsnetzwerk des Mittelstandes deshalb für gut 100 Technologie-Cluster (Forschungsvereinigungen wie das FKT mit angeschlossenen Instituten) Auftragsforschung mit großer Hebel- und Breitenwirkung. „Für Unternehmen ist es offensichtlich ein großer Gewinn, die Ergebnisse aus der Forschung für die Weiterentwicklung ihrer Produkte verwenden zu können.“ Bedeutend sei auch der Personaltransfer, den IGF möglich mache. In jährlich 1.600 Projekten im Gesamtumfang von über 170 Mio. Euro qualifizieren sich an Hochschulen und Forschungseinrichtungen Doktoranden und Ingenieure, die nach ihren Jahren in der industrienahen Wissenschaft dann zumeist in die Wirtschaft abwanderten.
Zu Wenige gründen eigenes Unternehmen
Noch zu wenige dieser praxiserprobten Hochschulabsolventen, so die Erfahrung von Mario Körösi von der Leipziger Ideentransfer GmbH, gründeten mit fundiertem Wissenschafts-Know-how ihr eigenes Unternehmen und powerten in Richtung Erfolg. Ein gelungenes Beispiel dafür aus dem Textilsektor sei der auf textilen Schnee spezialisierte Gründer der Mr Snow GmbH, Jens Reindl, aus Chemnitz. Diese Unternehmer in spe stünden – bevor Fördergelder aus beispielsweise aus dem Exist-Programm und dem Hightech-Gründerfond fließen – seiner Erfahrung zufolge vor einem zu großen Bürokratieaufwand. Um bestimmte Meilensteine in der Ideenumsetzung zu erreichen, wünsche er sich als Berater „kleinere, handhabbarere und vor allem schneller zu auszuzahlende Gelder“; sie brächten oft eine höhere Erfolgsrate.
Hans-Werner Oertel