01.07.15 — read English version

TU Chemnitz: Textile Speichen

Hochleistungsseile für den anforderungsgerechten Einsatz als textile Speiche können durch ihre Performance und ihr Gewicht neue Maßstäbe in der Laufradentwicklung setzen und dank einiger Vorteile die Ablösung der herkömmlichen Stahlspeichen bedeuten.

Abbildung 1: Laufräder mit Stahlspeichen Photos: TU Chemnitz

Abbildung 1: Laufräder mit Stahlspeichen Photos: TU Chemnitz

 
Abbildung 2: Systemlaufrad der Firma Spinergy

Abbildung 2: Systemlaufrad der Firma Spinergy

 
Alle Bilder anzeigen

Herkömmliche Laufräder, abweichend von Systemlaufrädern, besitzen folgenden Aufbau: Eine speziell ausgeformte, für den Belastungseintrag der Speichen konzipierte Geometrie der Nabe, ermöglicht die Anordnung einer entsprechenden Anzahl von Speichen. Die Speichen als solche können kopfseitig gekröpft, oder gerade ausgeführt sein. In jedem Fall besitzen sie ein Gewinde und einen Speichenkopf. Das angebrachte Gewinde dient zur Einleitung der notwendigen Spannkraft, die zur Stabilität des Laufrades entscheidend beiträgt. Dritter Teil im Aufbau des Laufrades ist die Felge. Sie besitzt, wie auch die Nabe, eine bestimmte Anzahl an Aufnahmestellen. Diese Anzahl ist Maßgabe für die spätere Laufradkonstruktion. In der Felge finden die sogenannten Speichennippel Anordnung. Die Speichennippel besitzen die Funktionsweise einer Mutter und ermöglichen durch ihre Form eine Abweichung eines Winkels, abweichend von der radialen Richtung bezogen auf die Felge. (vgl. Abbildung 1).

Im Verbund ergibt sich ein Laufrad mit vergleichsweise hohem Gewicht, Eigenschaftsänderungen die ausschließlich durch den Reifendruck erzielt werden können und, begründet durch die Form der Speichen, ungünstige Krafteinleitungsstellen an der Nabe. Die Firma Spinergy besitzt bereits ein Systemlaufrad, welches speziell auf die Verwendung von Hochleistungsfasern konzipiert ist. Hier werden Speichen verwendet, die aus parallel liegenden PBO Fasern bestehen. Alle Fasern werden in einen Mantel aus Polyurethan gebettet. Dieser Mantel bietet Schutz vor äußeren Einflüssen, wie Schmutz, UV, Nässe und mechanischen Einflüssen, wie Steinschlag etc. Kopf und Gewinde sind dabei an den jeweiligen, mit Epoxidharz getränkten Enden, verpresst. (vgl. Abbildung 2)

Um Speichen zu entwickeln, die den Belastungen im Einsatz gerecht werden können, musste der Ist-Stand ermittelt werden. Hierzu wurden Zugversuche an herkömmlichen Stahlspeichen durchgeführt. Weiterhin ergab eine Recherche die für den Zusammenbau eines Laufrades benötigte Speichenkraft von 1.000 bis max. 1.500 N.

Das Ergebnis der Untersuchungen ergab eine Bruchkraft von ca. 2.900 N. Demnach ergibt sich eine Sicherheit für den Einsatz von max. 2. Legt man die Ergebnisse aus den Untersuchungen mit den textilen Speichen der Firma Spinergy dazu, ergibt sich folgendes Verhalten. (vgl. Abbildung 3), (vgl. Abbildung 4).

Es ist zu erkennen, dass das Potential textiler Speichen um ein vielfaches höher ist, als das vergleichbarer Stahlspeichen. Die ermittelte Sicherheit gegen Bruch im Einsatz liegt bei mindestens 3. Gleichzeitig erkennt man die Vergleichbarkeit zwischen Stahl und Faserspeichen im elastischen Bereich.

Durch die Kenntnis über das Verhalten der Stahlspeichen und der Speichen der Firma Spinergy, konnte nun die neue textile Hochleistungsspeiche konstruiert werden. Um die jeweilige Funktion zu ermitteln wurde vorerst auf die später notwendige Ummantelung verzichtet. Ergebnis der Entwicklung ist ein Geflecht mit einem Durchmesser ca. 2,2 mm aus hochfesten Polyamid (Technora T200). Das Kraft-Dehnungs-Verhalten entspricht im elastischen, und damit Einsatzbereich, dem der PBO-Speiche. Es wurde eine Bruchkraft von ca. 5.200 N ermittelt. Zunächst wurde eine spezielle Endverbindung entwickelt, die ausschließlich die Untersuchung des Verhaltens der Speichen, bezogen auf den Seilquerschnitt, ermöglicht. (vgl. Abbildung 5)

Da die Verwendung von Endverbindungen die Seile schwächt und weiterhin Kraftflüsse in der Nabe optimiert werden können, wurde eine neue Anordnung von Speichen generiert. Eine Seilspeiche verläuft nun beginnend an der Felge über einen Pin (Speichenabschnitt 1) der als Umlenkungspunkt dient, angeordnet an der Nabe, weiter zur Felge (Speichenabschnitt 2). An beiden Anschlagpunkten an der Felge befindet sich ein Verspannmechanismus. Um trotzdem beide Speichenabschnitte voneinander zu entkoppeln, wurde die Spannkraft entsprechend des Eulerschen Gesetzes über einen Umschlingungswinkel an der Nabe abgebaut. (vgl. Abbildung 5).

Um das Laufrad zentrieren zu können, wurden weitere Zugversuche unternommen. Dabei findet ein sogenannter Tensiometer Anwendung. Dieser ermöglicht durch die Messung über drei Punkte die Detektion von Verformungen. Je stärker die Kraft entlang der Speiche ist, desto geringer ist die ermittelte Querverformung im Gerät. (vgl. Abbildung 6)

Auf diese Art kann das Laufrad mit einer annähernd gleichen Speichenkraft von ca. 1.100 N zentriert werden. Das fertige Laufrad wurde anschließend Fahrtests unterzogen und wies ein komfortables Fahrverhalten auf. (vgl. Abbildung 7)

Die Untersuchungen zeigen die Möglichkeit des Einsatzes von Faserseilen im Laufradbau. Einhergehend mit der Variabilität in der Konstruktion und Materialvielfalt, bilden sich Vorteile bei der Verwendung von Hochleistungsfasern heraus.

Leistungsstarke Symbiose zwischen Nabe, Speiche und Felge; Verwendung von handelsüblichen Felgen; neue gewichtsoptimierte Nabenkonstruktion; konstruktionsbedingt einstellbare Dämpfungseigenschaften; Entwicklungspotential für neue Systemlaufräder unterschiedlicher Anwendungen (Citybike, E-Bike, Mountainbike, Rollstühle etc.); Leichtbaupotential.

Auf Grundlage der aufgeführten Arbeiten besteht weiterer Forschungs- und Entwicklungsbedarf, der sich wie folgt darstellt: Entwicklung einer leichten und zuverlässigen Endverbindung; Vermeidung der Verdrehung der Seilspeiche beim Spannvorgang; Überarbeitung der Seilspeichenkonstruktion hinsichtlich Durchmesser, Anordnung und Ummantelung.

[ www.innozug.de]

[M.A. Daniela Storch, Dipl.-Ing. Ingo Berbig, Prof. Dr.-Ing. Markus Michael]

Nach Abschluss der Arbeiten muss das neue Laufrad unterschiedlichen Feldtests unterzogen werden. Erst hier ist die generelle Eignung der textilen Speiche zu bewerten. Neben den beschriebenen Feldtests müssen auch die Bauteile eines Laufrades, die Nabe, die Felge und die Speiche an sich intensiven Entwicklungsstufen und später auch unterschiedlichen Versuchen zugeführt werden.

Das Potential der beschriebenen Hochleistungsspeichen besteht zum einen in der Gewichtseinsparung. Allein durch die Verwendung von Fasermaterialien können im Vergleich zu Stahlspeichen ca. 80 % des Gewichtes eingespart werden. Gelingt es, die Krafteinleitung an der Nabe homogen zu gestalten, kann diese neu ausgestaltet werden und unterliegt ebenfalls einem gewissen Gewichtseinsparungspotential.

Anhand dieser Erkenntnisse können Laufräder anwendungsorientiert gestaltet und bereits in der Konstruktion kann auf die Massenverteilung Rücksicht genommen werden. Je nach Konstruktion können starre, aber auch stark dämpfende Laufräder konzipiert werden.