26/06/2019 – Blick über den Tellerrand: Der Einzelhandel ist nicht tot!
Die acht Retail-Trends der nahen Zukunft
Der stationäre Einzelhandel ist nicht tot und wird auch nicht so schnell sterben.
Geschäfte vor Ort spielen auch weiterhin eine zentrale Rolle im Verkaufsprozess – nur nicht mehr die einzige. Sie stellen heute einen von mehreren Touchpoints in der Customer Journey dar. Wer sich darüber im Klaren ist, kann für seine Kunden auch offline ein einmaliges Erlebnis schaffen und sie langfristig an sich binden. Das zeigen die aktuellen Retail-Trends.
Todgesagte leben länger.
Wie oft wurde der Tod des stationären Handels schon beschworen, doch bisher zeigt er sich zäh – und nach wie vor erfolgreich. Trotz alarmierender Schließungsraten spielen stationäre Geschäfte nach wie vor eine Schlüsselrolle im Verkaufsprozess.
Bemerkenswerter Trend:
Immer mehr native Online-Händler wie Amazon, Alibaba und Zalando zieht es in die analoge Welt. Sie eröffnen Filialen und Flagship-Stores und dringen damit in das Gebiet des stationären Handels vor. Natürlich bleibt nicht alles, wie es war. Der stationäre Handel wandelt sich. Deswegen sollte er sich auf seine Stärken konzentrieren und diese Bereiche zielgerichtet optimieren. Es gilt, keine Angst vor Herausforderungen zu haben, sondern Klarheit über Chancen zu gewinnen und diese zu seinem Vorteil zu nutzen.
Das zeigen auch die acht wichtigsten Retail-Trends, die sich für die Zukunft abzeichnen.
1. Immersive Brand Experiences
Der Verbraucher und Kunde ist in erster Linie ein Mensch. Er trifft Entscheidungen nicht rein rational, sondern auch immer emotional. Das alte Modell des In-Store- (und Online-) Einzelhandels konzentrierte sich noch strikt auf die verkauften Produkte.
Den Verbrauchern heute aber geht es auch um die Erfahrung, die mit diesen verbunden sind!
Dieser Wertewandel wird vor allem von den Millennials oder der Generation Y repräsentiert, für die Erfahrungen allgemein wichtiger geworden sind als die bloße Anhäufung von Dingen. Retailer sind deswegen gut beraten, nicht nur nüchterne Fakten bei der Präsentation der Ware und im Verkaufsprozess zu transportieren, sondern auch auf Gefühle und Werte zu achten.
Trends wie Artificial Intelligence oder Virtual Reality bieten dem Einzelhandel nun die technischen Möglichkeiten, Produkte und Marken ganz neu zu präsentieren und auf die neuen Kundenvorlieben einzugehen.
Diese Immersive Brand Experiences sind Markenerlebnisse zum Eintauchen. Sie erschaffen völlig neue Erfahrungen und ermöglichen dem Kunden ein einmaliges, bisher nie da gewesenes Kauferlebnis:
Musik, Düfte, Darstellungen, interaktive Angebote – all das ist nur ein Bruchteil der Möglichkeiten, die der stationäre Handel seinen Kunden vor Ort bieten kann.
Um diese Chancen zu nutzen, sollten Marken im Store erlebbar gemacht werden – sei es die vierzigste Filiale, einem Pop-Up- oder dem Flagship-Store. Ein Store sollte mehr sein als ein Laden, er muss zur vollständigen Markenwelt werden, die erlebbar und spürbar ist.
2. Customer Comfort
Click-and-Collect, Shop-Assistenten, Expresskassen, Lieferoptionen – der Kunde ist König(in), der Einkauf soll an diversen Touchpoints so komfortabel wie möglich gestaltet werden. Hier hat der Online-Handel zunächst einen entscheidenden Heimvorteil gegenüber dem stationären Handel. Schließlich muss der Kunde nicht einmal seine eigenen vier Wände verlassen, um einen Kauf zu tätigen und kann das bequem via Computer, Tablet oder Smartphone erledigen.
Das macht den Offline-Handel längst nicht zum hoffnungslosen Fall, im Gegenteil!
Vor Ort können dem Kunden noch weitere Bequemlichkeiten geboten werden, die den Einkauf zum Erlebnis machen. Das beginnt bei einer einladenden Atmosphäre im Store, geht über zuvorkommenden Service und endet nicht zuletzt bei der Warenübergabe. Wenn der Shopbesuch zum Mini-Urlaub inmitten des Alltags wird, muss sich der stationäre Handel nicht verstecken. Shoppen in der Filiale hat so die Chance, zu einem Lifestyle-Erlebnis zu werden.
3. Customer Service
Eng verknüpft mit dem Komfort ist auch der Kundenservice im Shop: Laut einer aktuellen PricewaterhouseCoopers (PWC)-Studie wünschen sich mehr als drei Viertel der Kunden freundliche, aufmerksame und präsente Verkäufer. Das Alleinstellungsmerkmal des stationären Handels ist also hochgefragt. Doch der gleichen Studie lässt sich ebenfalls entnehmen, dass
59 Prozent der Konsumenten Verkäufer bei ihrem letzten Einkauf aktiv ansprechen mussten, um überhaupt beraten zu werden.
Hier lassen Retailer nicht nur Umsatz liegen. Sie verpassen zudem die große Chance, den Kunden vom stationären Handel zu überzeugen und ihn an die Geschäfte vor Ort zu binden. Verkäufer sollten nicht nur im Store anwesend, sondern auch präsent und aktiv sein. Der Fehler ist hier aber nicht nur beim Personal zu suchen, sondern auch bei den Marken selbst.
Ein guter Verkäufer wird nicht geboren, er oder sie muss aktiv gefördert und trainiert werden!
Methoden wie zum Beispiel Kaalas können dabei helfen, die Mitarbeiter gezielt zu schulen. Sie refokussieren das Verkaufsgespräch auf den Kunden und seine Bedürfnisse – und darauf kommt es im Handel an. Mit kompetenten Mitarbeitern vor Ort können Unternehmen auch die Möglichkeit des Upsellings oder Crosssellings ergreifen.
4. Vernetzung von Online und Offline
Der Handel neigt dazu Online und Offline als zwei binäre Konzepte zu betrachten: Entweder das eine oder das andere. Ein besserer Ansatz wäre stattdessen die Fragen nach wie und wann. Denn der Kunde bewegt sich heute nahtlos auf beiden Kanälen und wechselt zwischen ihnen. Das muss die Customer Experience widerspiegeln.
Wenn der Kunde online bestellt, das Paket kostenlos im Store abholt und nebenbei noch ein weiteres Produkt entdeckt oder online prüfen kann, ob der Store das gewünschte Produkt derzeit vorrätig hat, erhöht das nicht nur den Komfort, sondern auch das positive Bild von der Marke.
Marken müssen es dem Kunden einfach machen – nicht schwerer.
Der stationäre Handel hat sich vom primären Umsatzpunkt wegentwickelt. Heute sind Geschäfte Teil einer breiteren Einzelhandelsstrategie mit diversen Touchpoints für den Verbraucher. Deswegen ist es sinnvoll, dieses Netz der Berührungspunkte zwischen Kunde und Produkt online wie offline auszubauen und die Marke auf allen Kanälen zu positionieren, um Leads zu generieren. Einzelhändler brauchen eine umfassende Integration aller Kanäle samt Websites, Social Media-Auftritten, Marktplätzen und den stationären Filialen.
Dieser Multi-Channel-Ansatz ist wichtig, um Verbraucher zu begeistern und an sich zu binden: vom ersten Eindruck bis zum finalen Kauf. Kommt dann noch die Fokussierung auf exzellenten Service über alle Vertriebskanäle hinweg hinzu, ist man für die Zukunft gut aufgestellt.
5. Profis ans Werk lassen
Die Herausforderungen für den Handel werden nicht weniger – im Gegenteil. In einer komplexen, sich rasant weiterentwickelnden Welt überlebt nur, wer am Ball bleibt und der Konkurrenz einen Schritt voraus ist. Deswegen empfiehlt es sich oft, Teile des Geschäfts an Profis auszulagern und die Kernkompetenzen im Unternehmen zu stärken.
Outsourcing ermöglicht es Retailern, ergiebigere Quellen als die eigenen für Teilbereiche des Business zu nutzen. Mit einem erfahrenen Unternehmen als Vertragspartner kann es sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren. So werden Kapazitäten für Innovation frei: Statt sich im operativen Geschäft aufzuhalten und aufzureiben, kann sich die Marke darauf konzentrieren, die strategische Marktposition zu verbessern und sich für die Zukunft zu positionieren.
6. Menschlichkeit
Trotz oder gerade wegen der Allgegenwärtigkeit des Digitalen zeigt sich beim Verbraucher ein verstärkter Wunsch nach echter Erfahrung, nach realem Kontakt und nach Menschlichkeit. Sei es der Verkäufer, der sich Zeit nimmt, die Anliegen des Kunden zu verstehen oder ein Erlebnis fokussiertes Shop-Konzept: Der Mensch muss im Fokus stehen.
Das zeigt sich u. a. auch in den steigenden Ansprüchen der Kunden an die Marke im Bezug auf Unternehmensverantwortung und soziales Bewusstsein. Diese beeinflussen, wie sich Marken präsentieren und positionieren. Innere Kultur und äußere Identität verschwimmen, Unternehmen engagieren sich zunehmend auch außerhalb traditioneller Einkaufsparameter und werden in ihrem kulturellen Engagement wahrgenommen.
7. Customer Experience
Eines haben der Online und Offline Handel gemeinsam: Die Customer Experience muss im Fokus jeder Entscheidung stehen. Amazon-CEO Jeff Bezos lebt diese Grundhaltung radikal vor: Auch wenn sich manche Entscheidungen als verrückte Ideen entpuppen und Projekte wieder verworfen und eingestampft werden: Amazons Geschäft wurde von Tag eins an von der Idee des ultimativen Kundenfokus vorangetrieben.
Kundenzentriertheit ist der Schlüssel zum Erfolg, auch für den Einzelhandel.
Wer dem Kunden an jedem Touchpoint vermittelt, dass er im Fokus des Geschäfts steht, bindet Menschen an sich und schafft treue Kunden. Und wer genau beobachtet, was der Kunde gut annimmt und was nicht, wird mit der Zeit wichtige Learnings sammeln, die strategische Entscheidungen in der Zukunft präziser und erfolgreicher machen werden.
8. Chancen, nicht Challenges
Marken und Retailer müssen sich nicht zwischen Online- oder Offline-Handel entscheiden und auch die Kunden nicht vom einen oder dem anderen überzeugen. Stattdessen geht es darum, sich nicht von Veränderungen und dem technologischen Wandel in Panik versetzen zu lassen. Jede Veränderung, jede Herausforderung bietet Unternehmen Chancen zu lernen, sich weiterzuentwickeln und Menschen zu begeistern. Die neue Retail-Welt ist längst hier. Jetzt geht es für Marken darum, ihren „neuen“ Platz in dieser Welt zu etablieren und neu zu definieren.
Uwe Morawe
Unser Autor Uwe Morawe ist Geschäftsführer von der TMS Trademarketing Service GmbH.