21/08/2025 – KI in der Textil- und Modeindustrie – Teil 3
Mit Datenpower zur echten textilen Kreislaufwirtschaft
Als Jonas Stracke beim Next.Level.Network im Rahmen der Fashion Week bei der Neo.Fashion. mit dem Publikum über Kreislaufwirtschaft diskutiert, kommt immer wieder die Frage auf, wie man aus der Phase von Politprojekten jetzt in eine breite Anwendung kommt.
Dabei zeigt sich, dass es für die Beantwortung dieser Frage einmal mehr auf Daten, Digitalisierung und am Ende auf Künstliche Intellgienz, KI, ankommt. Deshalb hat der Gesamtverband textil+mode gemeinsam mit führenden Branchenverbänden eine bundesweite Umfrage zur Herkunft und Verwertung textilähnlicher Abfälle gestartet. Ziel ist es, erstmals belastbare und branchenübergreifende Daten aus der Hersteller- und Inverkehrbringer-Industrie zu erfassen – ein entscheidender Schritt für eine zukunftsfähige Kreislaufwirtschaft im Textilbereich. Jonas Stracke, der beim Gesamtverband textil+mode den Bereich Kreislaufwirtschaft leitet, ist überzeugt: „Diese Initiative ist ein Meilenstein. Zum ersten Mal wollen wir belastbare Daten in der ganzen Breite der Branche sammeln, um zukunftsfähige Kreislaufwirtschaft zu gestalten.“ Unterstützt wird das Projekt von Mitgliedsverbänden des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie und weiteren wichtigen Branchenverbänden, auch die Textilreinigung und der Handel haben ihre Teilnahme zugesagt.
Erhebung entlang der gesamten Wertschöpfungskette
Jede Branche hat ihre eigenen Kreisläufe. Bei der Textilreinigung oder Unternehmen, die Berufsbekleidung oder Wäsche für Krankenhäuser, Hotels und Gastronomie verleihen, bleiben viele Textilien durch Rücknahme und Wiederaufbereitung im Umlauf. Anders sieht es bei unverkaufter Neuware oder Produktionsresten aus – diese Vielfalt will der Gesamtverband textil+mode erstmals erfassen, um echte Potenziale zu identifizieren. Gerade im Hinblick auf Abfallexporte ist es zudem entscheidend zu verstehen, welche textilen Materialien überhaupt in Deutschland und der EU verbleiben und potenziell recycelt werden können. Denn viele Alttextilien aus Sammelcontainern werden im Ausland sortiert – wodurch ein physischer Zugriff auf wertvolle Rohstoffe für das Recycling hierzulande oft nicht mehr möglich ist. Mit künstlicher Intelligenz (KI) und wissenschaftlicher Begleitung sollen die Daten systematisch ausgewertet werden, um Szenarien für Wiederverwendung, Recycling und Verwertung zu entwickeln. Mit Blick auf bevorstehende Regulierungen – etwa das geplante Vernichtungsverbot im Rahmen der EU-Ökodesign-Verordnung (ESPR) oder die Reform des Abfallrechts – leistet die Umfrage einen wertvollen Beitrag zur politischen Meinungsbildung und zur Entwicklung realistischer, wirtschaftlich tragfähiger Lösungen.
Zum ersten Mal gibt es quer über die Breite der Textilbranche eine Umfrage über Herkunft und Verwertung textilähnlicher Abfälle. textile network hat darüber mit Jonas Stracke, Kreislaufexperte bei Gesamtverband textil+mode, gesprochen.
textile network: Herr Stracke, was ist das Besondere an der Umfrage, die der Gesamtverband auf den Weg gebracht hat?
Jonas Stracke: Das besondere ist, das es uns gelungen ist, möglichst viele zum Mitmitmachen zu motivieren: Industrie, Handel, Textilreiniger, Unternehmen, die Berufsbekleidung oder Textilien für Krankenhäuser oder Gastro und Hotels verleihen. Es gibt so viele Ströme von gebrauchten Textilien in Deutschland, die noch nie auf einen Blick erfasst wurden. Das soll unsere Umfrage jetzt ändern. Denn nur, wenn wir wissen, was wir haben, können wir auch Lösungen schneidern, was aus Textilien, die nicht mehr im Gebrauch sind, werden kann.
textile network: Wenn es um textile Abfallströme geht, denken die meisten zuerst an Altkleider-Container. Sind wir da in Deutschland nicht schon sehr gut aufgestellt, weil wir unsere Altkleider alle dort hineinwerfen?
Jonas Stracke: Auch da haben wir als Hersteller kaum Wissen darüber, was in den Containern landet. Industrie und Abfallwirtschaft haben hier bislang nebeneinander her gearbeitet. Wir hören immer nur, dass es dort zunehmend minderwertige Kleidung gibt, die von globalen Billigketten aus Asien stammen und die nicht einmal mehr für Putzlappen oder Dämmmaterialien taugen. Aber selbst darüber gibt es keine verlässlichen Daten. Das wollen wir als Industrie ändern. Für uns sind nicht mehr gebrauche Textilien kein Abfall, sondern im besten Fall ein Rohstoff, der Beginn von etwas Neuem. Dieses Neue können wir aber nur schaffen, wenn wir erst einmal wissen, wie die Abfallströme aussehen, denn vieles aus den Containern wird ja sofort weiter ins Ausland exportiert. Auch hier brauchen wir Transparenz.
textile network: Es ist immer davon die Rede, dass die Problematik darin besteht, dass Textilien aus vielen Materialien bestehen. Baumwolle, Polyester, Viskose, und dann gibt es noch Applikationen, Reißverschlüsse, Knöpfe … Was bleibt da mehr als der Schredder?
Jonas Stracke: Wir müssen die Kreislaufwirtschaft rund denken. Das zeigen wir gerade auch in einem Pilotprojekt mit der BVG. Wenn die Berliner Verkehrsbetriebe von Anfang an Kleidung für ihre Mitarbeiter designen und produzieren lassen, aus denen dann später etwa Stoffe für Straßenbahnsitze werden und aus den Sitzen später Tragetaschen für die Kunden, dann wurde der Kreislauf von Anbeginn an mitgedacht. Wir wollen hier als deutsche Textil- und Modeindustrie voran gehen. Denn unsere mittelständischen Unternehmen haben das Wissen und das Know-how in Kreisläufen zu denken und zu produzieren. Wir wollen aber auch, dass die Öffentlichkeit versteht, wie aufwändig das ist und Kreislaufwirtschaft viel mehr ist als aus Plastikflaschen Bademode zu produzieren.
textile network: Herr Stracke, vielen Dank für das interessante Gespräch!