21/11/2022 – Interview mit René Bethmann von Vaude

„Jeder Einzelne kann etwas ändern“

Das Familienunternehmen Vaude engagiert sich schon seit Jahrzehnten für Nachhaltigkeit in der Textilbranche. Wir sprachen mit René Bethmann, Senior Innovation Manager Materials and Manufacturing bei Vaude, darüber, worauf das Unternehmen bei der Materialauswahl achtet und was ihn persönlich zu nachhaltigem Handeln antreibt.

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René Bethmann ist u. a. Berater bei der Vaude Academy for sustainable business, die Unternehmen und Organisationen beim Transformationsprozess zum nachhaltigen Wirtschaften begleitet und berät. © Vaude

 
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Vaude, einer der bekanntesten Produzenten von Outdoor-Bekleidung sowie -Ausrüstung, legt großen Wert auf nachhaltige Materialien sowie eine umweltfreundliche und soziale Produktion. © Vaude

 

textile network: Geschäftsführerin Antje von Dewitz wurde bereits mehrfach für ihr außerordentliches Nachhaltigkeitsengagement ausgezeichnet. Woher kommt diese unerschütterliche Motivation von Vaude?

René Bethmann: Das liegt in unserer DNA, wir können einfach nicht anders (schmunzelt). Als Teil der globalen Textilindustrie wissen wir natürlich, dass wir Verantwortung übernehmen müssen. Unsere Produkte schützen den Kunden vor den Naturelemente, aber gleichzeitig müssen wir die Natur auch vor uns beschützen und unseren ökologischen Fußabdruck verringern.

Wichtig ist, ein Bewusstsein für nachhaltiges Handeln zu entwickeln. Jede:r einzelne kann etwas ändern. Und wir wollen mit gutem Beispiel vorangehen und Impulse setzen, um zum Nachahmen anzuregen.

textile network: Für etwa die Hälfte der Kollektion 2022 hat Vaude Produkte aus recycelten oder biobasierten Materialien verwendet. Um welche Materialien handelt es sich genau?

René Bethmann: Im Moment verwenden wir hauptsächlich recyceltes PET. Plastikflaschen stellen nach wie vor die größte Fraktion an recycelten Ausgangsstoffen dar. Auch wenn sie nicht das Optimum sind, brauchen wir verschiedene Abfallströme. Zwar konzentrieren wir uns auch voll und ganz auf Textilrecycling, aber das ist nur ein Abfallstrom. Wir müssen eben das nehmen, was zurzeit verfügbar ist.

Dann setzen wir noch biobasierte Materialien ein, also Materialien, die aus erneuerbaren Ausgangsstoffen hergestellt werden. Diese Naturmaterialien benutzen wir vor allem im Bereich Leasure Wear.

Aber auch biobasierte Kunststoffe kommen zum Einsatz. Diese haben eine wesentliche höhere Effizienz und einen wesentlich höheren Ertrag als Naturmaterialien. Das wird häufig vergessen. Beispielsweise haben wir für unsere Schuhe eigene Compounds entwickelt, bei denen die Bestandteile aus europäischem Industriemais und aus Altspeiseöl (Frittierfett, Pommesfett) bestehen. Öle aus aufbereitetem Kaffeesatz haben wir auch in vielen Produkten.

Zudem verwenden wir Zuckerrohr als Basis für Schäume in unserer Schuhzwischensohle. Zuckerrohr hat eines der höchsten Erträge pro Fläche, sodass man hier deutlich weniger Landnutzung hat.

Allerdings benötigen biobasierte Kunststoffe wesentlich mehr Erklärungsbedarf. Es gibt viel mehr Fragen diesbezüglich von den Endverbrauchern. Biobasierte Kunststoffe werden bei uns in der Zukunft auch nicht die Hauptrolle spielen bei unserer Transformation hin zu mehr nachhaltigen Produkten. Wir fokussieren uns vor allem auf recycelte Materialien.

textile network: Können die Produkte, die Sie mit recycelten Materialien herstellen, dann wiederum der Kreislaufwirtschaft zugeführt werden?

René Bethmann: Ja, das ist möglich. Wenn wir aus recycelten Plastikflaschen Polyesterstoffe herstellen, können diese Stoffe dann wieder recycelt werden zu einer Flasche. Da gibt es verschiedene Flagship-Projekte, die genau das umsetzen.

Wenn ich eine Plastikflasche habe mit 30 % PET-Anteil, kann diese genauso recycelt werden wie auch alle anderen Flaschen. Biobasiertes PET verhält sich im Recycling genauso wie ein fossilbasiertes PET. Es gibt die sogenannten Drop-Ins bei den Biokunststoffen. Diese haben die gleichen Materialeigenschaften wie die konventionellen Kunststoffe. Wir setzen unseren Fokus auf diese Drop-in-Materialien, damit wir ein späteres Recycling nicht unnötig verkomplizieren.

textile network: Vaude hat sich es zum Ziel gesetzt, dass bis 2024 90 % aller Vaude-Produkte einen biobasierten oder recycelten Materialanteil von mehr als 50 % haben. Ist dieses Ziel nach aktuellem Stand erreichbar? Das ist ja schon in zwei Jahren …

René Bethmann: Das ist eigentlich schon nächstes Jahr, weil wir die Kollektion Frühling/Sommer 2024 im nächsten Frühjahr präsentieren. Dieses Vorhaben gilt im Übrigen nicht nur für die neuen Produkte, sondern auch für die bestehenden. Aktuell sind wir sehr zuversichtlich, dass wir das erreichen werden.

textile network: Wie sind Sie eigentlich zu Vaude gekommen und inwiefern identifizieren Sie sich mit den Unternehmenswerten in Sachen Nachhaltigkeit?

René Bethmann: Ich bin vor knapp zehn Jahren über Headhunter zu Vaude gekommen. Ich habe auch schon vorher in namhaften Unternehmen gearbeitet, wo man Nachhaltigkeit gelebt hat. Bei Vaude haben wir einen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz. Mir persönlich ist es wichtig, dass das Unternehmen eine nachhaltige Ausrichtung hat und nicht rein nur auf den Profit schaut. Wenn man Kinder hat, macht man sich da umso mehr Gedanken. Ich sehe selbst auch, dass es möglich ist als Einzelperson, als einfacher Angestellter, etwas zu bewirken. Das zu zeigen, motiviert und treibt einen an.

textile network: Was ist Ihnen in diesem Zusammenhang noch wichtig zu sagen?

René Bethmann: Ich denke, was wirklich wichtig ist für unsere Branche: Wir benötigen mehr Wissen. Wenn man sich das Thema Recycling in Zusammenhang mit Materialgruppen anschaut, sind da noch ganz viele Hausaufgaben zu machen. Und wir müssen noch weiter in die Chemie einsteigen. Woraus bestehen eigentlich unsere Produkte? Es muss ein stetiger Drang vorhanden sein, dass man sich weiterentwickelt und immer weiter in die Materie geht – das ist etwas, das sehr stark gefordert ist.

textile network: Herr Bethmann, vielen Dank für das informative Gespräch!