10/05/2022 – Medizinische Textilien
Medizinprodukte – komplex und kompliziert?
Was ist eigentlich (k)ein Medizinprodukt? Welche Klassifizierungen gibt es? Was hat es mit der CE-Kennzeichnung auf sich? Was bedeutet die neue europäische Medizinprodukteverordnung MDR für Hersteller, Zulieferer und Händler von Medizinprodukten? Wie werden Technische Dokumentation und Klinische Bewertung erstellt? Fragen über Fragen, es ist schwierig, im Dschungel von Verordnungen und Vorschriften noch den Durchblick zu behalten. Dr. Timo Hammer, CEO und verantwortlich für den Geschäftsbereich Medical beim Prüflabor Hohenstein, klärt auf.
Was ist ein Medizinprodukt? Auf diese vermeintlich einfache Frage gibt es leider nicht immer eine einfache Antwort. Aber wir wissen, was keine Medizinprodukte sind, nämlich z. B. Arzneimittel, Kosmetika oder auch Persönliche Schutzausrüstung. Sie unterliegen jeweils eigenen Normen. Laut Definition handelt es sich bei Medizinprodukten um medizintechnische Produkte und Verfahren, die Leben retten, heilen helfen und die Lebensqualität von Menschen verbessern.
Je nach Anwendung und Risiko werden Medizinprodukte zudem in Klassen eingeteilt. Medizinprodukte der Klasse I hat vermutlich jeder schon mal verwendet, dabei handelt es sich beispielsweise um Lesebrillen, Pflaster oder Mullbinden, die ein geringes Risiko bergen, Menschen dauerhaft zu schädigen. Rund 70 % aller Medizinprodukte in Deutschland entfallen auf diese Klassifizierung. Zu Klasse IIa werden beispielsweise Zahnfüllungen oder Hörgeräte gezählt. Weiter geht’s mit Klasse IIb: Röntgengeräte oder Ultraschallgeräte können bei Menschen potenziell schon einen größeren Schaden anrichten. In Klasse III werden Hilfsmittel eingeordnet, die ihre Funktion oft dauerhaft im menschlichen Körper verrichten. Dazu zählen z. B. Hüftimplantate, Herzkatheder oder auch Brustimplantate.
Medizinprodukt – Ja oder Nein?
Bei dieser Frage entscheidet ganz klar die Zweckbestimmung des Produkts. Bei einigen Produkten wie z. B. Hörgeräten stellt sich die Frage ja gar nicht. Aber was ist mit dem Massageball, der vielfältig einzusetzen ist? Hier kommt es ganz auf den begleitenden Claim bzw. die Beschreibung zum Zweck des Produktes an. Eine Aussage wie „steigert die Durchblutung“ oder „löst Verspannungen“ indiziert ein Medizinprodukt. Lautet die Aussage aber beispielsweise „steigert das Wohlbefinden“ und spielt rein auf die subjektive Komforterfahrung an, wird der Massageball nicht zu den Medizinprodukten gezählt. Die Unterscheidung ist essenziell, denn die weitere Behandlung beim Inverkehrbringen von Medizinprodukten gestaltet sich ungleich aufwendiger. So benötigt im europäischen Markt jedes Medizinprodukt, egal welcher Klassifizierung, ein CE-Zeichen, damit es verkauft werden darf.
Was hat es mit der CE-Kennzeichnung auf sich?
Das CE-Zeichen harmonisiert die Vorschriften und technischen Normen in den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU und wird häufig mit einem Reisepass für den europäischen Binnenmarkt gleichgesetzt. Medizinprodukte der Risikoklasse I werden in der Regel durch den Hersteller unter vollständiger Eigenverantwortung mit einem CE-Zeichen ohne Kenn-Nummer gekennzeichnet, da für diese Klasse die Einschaltung einer Benannten Stelle nicht vorgesehen ist. Medizinprodukte aller anderen Risikoklassen erfordern eine Zertifizierung durch eine Benannte Stelle und verlangen dafür noch die Überprüfung der Technischen Dokumentation, idealerweise mit einem Qualitätsmanagementsystem im Hintergrund, der Klinischen Bewertung, ein Konformitäts-Bewertungsverfahren sowie die Sichtung der Bedienungsanleitung und Kennzeichnung u.v.m. Die neue Medizinprodukteverordnung MDR schreibt außerdem vor, dass Medizinprodukte in der neuen Datenbank EUDAMED registriert werden und im Markt laufend unter Beobachtung stehen müssen (Post Market Surveillance).
Welche Änderungen ergeben sich durch die neue MDR?
Was aber bedeutet die neue europäische Medizinprodukteverordnung MDR für Hersteller, Zulieferer und Händler von Medizinprodukten? Die neue MDR (Medical Device Regulation) richtet sich insbesondere an Hersteller von Medizinprodukten, aber auch Betreiber oder Händler von Medizinprodukten wie etwa Sanitätshäuser oder Apotheken sind künftig von den umfangreichen Anforderungen betroffen. Weitreichende Änderungen ergeben sich durch neue Melde- und Dokumentationspflichten über ein über ein spezifisches Meldeportal. Die Meldung von sogenannten Vorkommnissen bezog sich bislang auf schwerwiegende Ereignisse oder Fehlfunktionen, die den Patienten lebensbedrohlich verletzen oder ein Risiko für die öffentliche Gesundheit darstellen könnten. Künftig fallen darunter alle unerwünschten Wirkungen beim Patienten sowie sämtliche Mängel und Fehlfunktionen von Medizinprodukten. Dazu gehört dann auch beispielsweise eine fehlerhafte Gebrauchsanweisung. Die neue MDR rückt aber auch gestiegene Anforderungen an die Aufbereitung von Medizinprodukten mehr ins Blickfeld.
Ziel der neuen MDR für Medizinprodukte ist ein lebenszyklusbasierter Sicherheitsansatz, der durch klinische Daten und neue Anforderungen wie Transparenz und Rückverfolgbarkeit untermauert werden soll. Das erfordert vonseiten der Hersteller u. a. ein Qualitätsmanagementsystem, ein System für produktspezifisches Risikomanagement sowie eine umfangreiche Klinische Bewertung.
Weitere Informationen unter: www.hohenstein-medical.de/de/medizinprodukte-verordnung