18/04/2021 – Nachhaltigkeits-Startups – Folge 9: StayInAKite

Ziel Zero (9): Das Unmögliche wagen

Alles, was wir an Bekleidung tragen, sollte entweder recycelbar oder vollbiologisch abbaubar sein. Innovative Start-ups zeigen neue Wege auf.

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Eben noch Kite, jetzt eine modische Jacke oder Strandtasche … © StayInAKite

 
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Gleitschirmfliegerin und Kitesurferin: StayInAKite-Gründerin Doris Ivanschitz © StayInAKite

 
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Der Gedanke fasziniert Branchenpraktiker und Textilforscher ebenso wie Quereinsteiger: Eines möglich frühen Tages sollte alles, was wir an Bekleidung tragen, entweder recycelbar oder vollbiologisch abbaubar bzw. verrottbar sein. Auch sind nachhaltige Textiltechniken gefragt. Dafür sind keine Patentrezepte in Sicht, wohl aber Einzelschritte, die mit neuen Materialien und Technologien in die richtige Richtung zielen. textile network stellt in lockerer Folge Start-ups aus dem deutschsprachigen Raum vor, die mit Blick auf eine verbesserte Kreislaufwirtschaft deutlich die Grenzen des bisher Möglichen sprengen.

Folge 9: StayInAKite (Kelkheim)

Via Rumänien: Kiteschirm heute, unikate Jacke morgen

Im Bett, vor dem TV oder beim Autofahren? Die zündende Idee für ihr Start-up StayInAKite kam der Gründerin beim Kiteborden selbst. Hart am Wind drängten sich plötzlich Fragen auf: Was eigentlich passiert mit den Zehntausenden Kites, Surfsegeln und Gleitschirmen, die zumeist wegen Materialermüdung oder leistungsfähiger Geometrien ausgedient haben? Wie könnte das zweite Leben dieser 6 bis 15 qm großen Schirme aussehen? Und: Ließe sich das vergleichsweise starre Polyestermaterial auch zu nachhaltigen und angenehm tragbaren Modeartikeln verarbeiten?

Fragen an Gründerin Doris Ivanschitz, die von Hessen aus Lifestyle-Artikel aus Müll ohne Müll ermöglichen will:

textile network: Mit heute 53 gehören Sie zu den besonders mutigen Gründerinnen …

… ich war vorher bereits mit einem Atelier für Braut- und Abendmoden selbstständig. Mit 43 kam unsere Tochter zur Welt; dann war erstmal das Kind wichtiger als Beruf und Berufung. Während meiner Auszeit hatte sich in mir die Schneiderin und Bekleidungsingenieurin immer mal wieder zu Wort gemeldet. Seitdem war klar: Wenn ich nochmals den Schritt in die Selbstständigkeit gehen würde, dann nur auf der nachhaltigen Schiene. Wir (also mein Mann Thomas und ich) beginnen jetzt gerade, unsere Visionen umzusetzen.

textile network: Upcycling von nicht nachhaltig gefertigten Textilien in nachhaltige Mode – wie soll das gehen?

Sie vermuten vollkommen zurecht: Unser zum Teil mehrfach beschichtetes Einsatzmaterial auf Polyestergrundlage ist zumeist nicht nachhaltig produziert worden. Meine Alleinstellung auch mit Blick auf einige Wettbewerber ist es, den bunt bedruckten Segeln durch komplett nachhaltige Prozesse zu einem zweiten Leben zu verhelfen. Wir wollen aus den Tuchen tragbare, mit Biobaumwolle gefütterte Mode in Form von Jacken, Mänteln und Westen ebenso herstellen wie Taschen, Beutel und Sitzsäcke. Einschließlich Versand zu unserem rumänischen Kooperationspartner, der nachhaltig und fair produziert, sollen alle folgenden Prozesse konsequent nachhaltig sein – also Logistik (Transport, Verpackung), Konfektion und Einsatzmaterial (Garn, Schnallen, Reißverschlüsse oder Griffe). Wir meinen, Lifestyle ohne Müll muss möglich sein. Deshalb forschen wir an neuen Lösungen unseres textilen Verschnitts für unser kompromissloses Ziel: Zero Waste.

 textile network: Was passiert 2021?

Da starten wir durch: Zunächst im Sommer mit einer Crowd Funding-Kampagne auf startnext, die zum Anschub der Serienproduktion in Rumänien mindestens 20.000 Euro erbringen soll. Bis dahin haben wir auf unserer Webseite einen Shop integriert; die Ware geht dann direkt vom Logistiker zum Kunden. Grundlage für die Produktion sind unsere Prototypen, die alle irgendwie hipp und einmalig sind. Bis jetzt haben wir 70 Alt-Segel im Lager; führen aber gerade Gespräche mit Surf- und Kitschulen, um weitere Rücknahme-Kooperationen anzustoßen. Um den Produktionsauftrag in einer für alle Seiten rentablen Größenordnung auszulösen, benötigen wir mindestens 200 oder besser 300 Segel.

StayInAKite auf einen Blick:

  • Gründung: 2020
  • Gründer: Doris Invanschitz (53)
  • Mitarbeiter: 2
  • Alleinstellung: Upcycling von Kite- und Surfsegeln bzw. Gleitschirmen zu unikaten und nachhaltigen Lifestyle-Fashion-Produkten und Accessoires
  • www.stayinakite.com

textile network: Was läuft entwicklungsseitig parallel?

Produktentwicklung ist bei uns ein permanenter Schwerpunkt. Daneben bauen wir ein Netzwerk mit konsequent nachhaltigen Zulieferern und Partnern auf. Momentan werden wir den Verschnitt der Segel selbst erfassen. Vor Ort in Rumänien wird er dann zerfasert, um damit Yogakissen und Sitzsäcke zu füllen. Da bei uns die anfallenden Schnittmengen begrenzt sind, bin ich in Gesprächen mit Verarbeiter von Jacht- und Regattensegel. Gemeinsam wollen wir das Thema „Recycling unseres textilen Verschnittes“ angehen und limitierte Stückzahlen von Sitzsäcken herstellen. Beim Verschnitt der Biobaumwolle stehe ich in darüber hinaus in Kontakt mit einem jungen Unternehmen, das aus sortenreinem Biobaumwolle-Verschnitt tatsächlich neue, hochwertige Fasern spinnen kann.

Zeitgleich suche ich nach Wissenschaftspartnern, um langfristig eine Lösung für das Wiedereinbringen unserer Produkte in die Kreislaufwirtschaft zu erreichen. Da es sich bei den Kites um PU ummanteltes und mit Silikon beschichtetes PES handelt, ist der Recyclingprozess dafür nicht so einfach. Mein sehnlicher Wunsch ist es deshalb, das Material wissenschaftlich mit dem Ziel zu untersuchen, dafür energetisch sinnvolle Recyclingprozesse zu finden. Eine Vision wäre es, meinen Verschnitt zu Produkten verarbeiten zu können, die dann nach Ablauf ihres Nutzungszyklus wieder von mir verarbeitet werden könnten.

Wie sieht Ihr Start-up 2025 aus?

Gute Frage; auf alle Fälle internationaler. In wenigen Jahren wollen wir dann möglichst weit über das deutschsprachige Ausland hinaus Alt-Segel einsammeln – und auch international unsere Produkte verkaufen. Pro Jahr soll dann zwei- bis dreimal produziert werden, was einer Kapazität von ungefähr 600 retournierten Segeln natürlich mit DHL-Go-Green entspräche. Wer seine Kites und Segel re:turnen will, kann uns anrufen oder mailen. Wir schicken ihm dann ein Rücksendeticket zu.