29.10.19 – Selbstheilende Faserverbundwerkstoffe

DITF erforscht das Verhindern von Risswachstum

Dem Bauteilversagen keine Chance. Selbstheilende Faserverbundwerkstoffe erhöhen die Sicherheit stark belasteter Bauteile.

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Glashohlfasergewebe mit gefärbten Monomeren: Selbstheilungsprozess sichtbar gemacht. Blau gefärbtes PEG tritt nach einer Schädigung aus der Hohlfaser aus und durchdringt das Risssystem. © DITF

 
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Glashohlfasern im Querschnitt © DITF

 

Mit einem lauten Knall schlägt der schwere, metallene Zylinder auf dem Prüfkörper auf. In einem Fallprüfstand der DITF wird ein Faserverbundwerkstoff gezielt beschädigt. An der Schadensstelle bilden sich Delaminierungen, die als weiße, lokal begrenzte Beschädigungen erkennbar sind. Zudem entstehen mikroskopisch kleine Risse.

Thomas Lehr, der sich in einem Forschungsprojekt mit der Vermeidung solcher Szenarien beschäftigt:

„Eine noch so kleine Schädigung eines Werkstoffs ist oft der Auslöser für ein sogenanntes Totalversagen eines Faserverbundbauteils, was sich in der Praxis katastrophal auswirken kann. Wir arbeiten daran, das Risswachstum, also die Art und Schnelligkeit, wie sich ein Riss räumlich innerhalb eines Werkstoffs ausbreitet, zu verlangsamen oder sogar ganz zu verhindern.“

Dem Risswachstum entgegenwirken

Dem Risswachstum entgegenwirkende Faserverbundwerkstoffe werden überall dort eingesetzt, wo Materialien hohen Kräften ausgesetzt sind und gleichzeitig möglichst leicht sein sollen. Die hohen Festigkeiten dieser Werkstoffgruppe werden durch das Zusammenspiel aus verstärkenden Fasern mit einer sie umgebenden Matrixkomponente erreicht.

Bei einer Beschädigung der Matrix, die z. B. aus Epoxid- oder Polyesterharzen bestehen kann, verhindern diese Verstärkungsfasern in begrenztem Rahmen das plötzliche Auseinanderbrechen. Doch sind Risse erst einmal vorhanden, können sie schnell so stark wachsen, dass auch die Faserverstärkung auf ihre Grenzen trifft und das Bauteil versagt.

Thomas Lehr:

„Man kann versuchen, Risse von außen mit flüssigem Harz zu tränken und damit zu versiegeln. Doch die Schäden, die sich weiter unter der Oberfläche befinden, sind damit nicht zu erreichen. Wir setzen deshalb im Inneren des Werkstoffs an und heilen Risse gleich, sobald sie entstehen.“

Selbstheilenden, glasfaserverstärkte Faserverbundwerkstoffe

Die Arbeitsgruppe von Dr. Frank Gähr hat sich im Rahmen eines Forschungsprojektes mit selbstheilenden, glasfaserverstärkten Faserverbundwerkstoffen beschäftigt und überzeugende Ergebnisse erzielt: Einzelne Lagen der verwendeten Glasfasergewebe eines Bauteils werden gegen Glashohlfasergewebe ausgetauscht. Die Hohlkanäle der Fasern werden zuvor in einem aufwändigen Verfahren mit flüssigen Chemikalien gefüllt.

Ein eingebauter Reparaturmechanismus

In Kettrichtung nehmen die Kapillaren in den Fasern eine Mischung aus Polyethylenglykol (PEG) und einem speziellen Zinnkatalysator auf. Die Fasern in Schussrichtung des Gewebes werden mit Diisocyanat befüllt. Mehrere derartig befüllte Glashohlfasergewebe können in unterschiedlichen Anordnungen und Schichten im Bauteil platziert werden. Durch die räumliche Trennung der chemischen Komponenten (Kette und Schuss) bleiben beide Monomere für sich genommen über lange Zeiträume chemisch stabil und flüssig.

Vermischen sich die Komponenten jedoch, reagieren sie in kürzester Zeit zu einem festen Polyurethan. Für den neuartigen Faserverbundwerkstoff, der solche gefüllten Hohlfasern enthält, bedeutet das:

Tritt von außen eine Schädigung ein, dann brechen auch die Hohlfasern. PEG und Diisocyanat treten aus, durchsetzen das Rißsystem schnell bis in die feinsten Verästelungen und reagieren dann zu einem festen, niedermolekularen Polyurethan. Die Selbstheilung läuft autark ab, denn die Monomere reagieren bereits bei Raumtemperatur miteinander. Die bei bisherigen Reparaturverfahren notwendige Bauteil-Temperierung in einem Ofen zur Auslösung der Polymerisationsreaktion entfällt. Das gebildete Polyurethan verklebt den entstandenen Riss, ohne dass jemand den Schaden erkennen und aktiv bei der Schadensbehebung eingreifen müsste. Deshalb darf dieser Werkstoff auch mit gutem Recht als „selbstheilend“ bezeichnet werden.

Rissheilung im Mikroskop erkennbar

Dass der Selbstheilungsprozess auch tatsächlich so wie erhofft eintritt, ist mit Hilfe gefärbter Monomere nachweisbar. Blau gefärbtes PEG tritt nach einer Schädigung aus der Hohlfaser aus und durchdringt das Risssystem. Dieser Schadensbereich färbt sich innerhalb des Werkstücks blau an. Der Vorgang lässt sich unter dem Mikroskop gut verfolgen und fotographisch dokumentieren.

Das Diisocyanat lässt sich mit einem Fluoreszenzfarbstoff einfärben. Die Rissfüllung wird dadurch auch mittels UV-Licht sichtbar. Die Einsatzmöglichkeiten der selbstheilenden glasfaserverstärkten Faserverbundwerkstoffe liegen dort, wo mechanisch stark belastete Bauteile zuverlässig ihre Arbeit verrichten müssen. Windkraftanlagenbau, Luft- und Raumfahrt und der Automobilbau sind die typischen Anwendungsfelder. Zunehmend gewinnen Faserverbundwerkstoffe auch im Maschinen- und Anlagenbau von Bedeutung. Als nächster Entwicklungsschritt für die selbstheilenden Werkstoffe muss das labortechnische Verfahren in die Herstellung größerer Werkstücke überführt werden. Damit dürfte die nächste Hürde vor der Umsetzung in den industriellen Maßstab fallen.

Nähere Fachinformationen zum Thema: Dr. Frank Gähr Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung Textilchemie, Drucktechnologien ,Tel. 0711 / 9340-132, frank.gaehr@ditf.de