05.05.20 – Deutschland näht

Corona-Krise: Textilmaschinenhersteller „nähen“ mit

Die Expertise der einheimischen Textilmaschinenindustrie hin zu einer strategischen Unabhängigkeit ist zu Corona-Zeiten gefragter denn je.

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Das mit 3 Millionen Euro ausgestattete Advanced Technology Centre (ATC) in Mönchengladbach ist voll einsatzbereit für Veredlungs- und Beschichtungsversuche im industriellen Maßstab durch Spezialisten von Monforts. © Monforts

 
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textile network bietet eine Übersicht der Hersteller-Initiativen von Textilmaschinen sowie der jetzt aufgelegten Forschungskooperationen zur Herstellung von Schutzmasken und Co. © Eurolaser

 

Schutzmasken und textile Schutzausrüstungen

Schutzmasken und Co. sind in Pandemielzeiten systemrelevant und die derzeitige chronische Unterversorgung mit diesen Gütern für einen hochentwickelten Industrie- und Sozialstaat wie Deutschland eine denkbar schlechte Visitenkarte. Doch wie lässt sich die in inzwischen „rings um das Chinesische Meer verteilte Wertschöpfung“ nun wieder dauerhaft und vor allem schnell in die großen Textilregionen Deutschlands – NRW, Baden-Württemberg, Thüringen/Sachsen – intergrieren, sodass auf lange Sicht beispielsweise (über)lebenswichtiger Atemschutz mit hohen Filterleistungen nicht mehr exportiert werden muss? In den derzeit so zahlreichen Konzepten dazu spielen die nach wie vor in der ganzen Welt hoch geschätzten Textilmaschinen „made in Germany“ eine zentrale Rolle. Für uns von textile network ist das Anlass genug, eine Übersicht der Hersteller-Initiativen sowie der jetzt aufgelegten Forschungskooperationen zusammenzustellen.

textile network bietet hier eine Übersicht der Hersteller-Initiativen von Textilmaschinen sowie der jetzt aufgelegten Forschungskooperationen.

- VDMA-Fachverband Textilmaschinen (Frankfurt am Main):

In einer Auflistung des Fachverbandes werden Maschinenhersteller benannt, die die Produzenten von Mund- und Nasen-Masken sowie von Atemschutzmasken und Schutzkleidung unterstützen: Zur Auflistung geht es hier.

Baden-Württemberg

- Weber Ultrasonics (Karlsbad):

Der Technologieanbieter produziert seit März erstmals eigenen Mundschutz. Im ersten Schritt werden bei der Fertigung von Atemschutz- und OP-Masken ein offenporiges Nadelvlies als Stabilisator, eine Lage Meltblown-Vlies als Partikelfilter sowie eine Lage Spinnvlies (Spun-Bond) durch Tiefziehen in Form gebracht. Anschließend werden die Ränder der Maske in einem Ultraschallschweißprozess verbunden. Die Produktionskapazität der kompakten Standardanlage mit einem Einmalwerkzeug liegt bei rund 60 Atemschutzmasken pro Stunde. Für die entsprechend den aktuellen Normen gefertigten Masken wird die Schutzklasse FFP3 angestrebt und eine entsprechende beschleunigte Prüfung von Corona-Virus-Pandemie-Atemschutzmasken (CPA) für Deutschland durchgeführt. Zugleich verzeichnet der Hersteller u. a. von Produktionsequipment für OP-Masken dafür eine starke Nachfrage. „Für diese Anwendung bauen wir gerade mit Hochdruck eine Versuchsanlage bei uns auf, in der ein neu entwickeltes Verfahren für das kontinuierliche Ultraschallschweißen eingesetzt wird. Damit können wir die Produktionskapazität von bisher 200 auf 400, vielleicht sogar auf 600 Masken pro Minute erhöhen“, erklärte Vertriebsvorstand Christian Unser.

- Ziegler + Schenk (Göppingen):

Der Maschinenbauer hat in wenigen Wochen eine vollautomatische Produktionslinie für Alltagsmasken entwickelt, mit der auch nicht-textile Unternehmen in die Maskenproduktion einsteigen können. Die Anlage, für die es nach Firmenangaben bereits vier Interessenten gibt, kann arbeitstäglich bis zu 21.000 Stück produzieren. Das Unternehmen der Gansler-Gruppe ist eigentlich auf Montagesysteme für die Automobilproduktion spezialisiert.

- H. Stoll (Reutlingen):

Der Strickmaschinen-Hersteller versorgt jetzt seine Kunden mit speziellen Strickprogrammen für die Herstellung von Mund-Nase-Behelfsmasken. Stoll bietet in seinem Online-Patternshop verschiedene Variationen von Strickprogrammen für unterschiedliche Maschinenfeinheiten zum freien Download an. Die Maskenmodelle sind weder medizinisch noch anderweitig zertifiziert.

- Dornier (Lindau):

Der international führende Hersteller von hocheffektiver Webtechnik unterstützt jetzt weltweit Textilfirmen, die ihre Technik in Corona-Zeiten auf dringend benötigte Schutzartikel umstellen, mit textiltechnischer Modellierung. Für die schnelle, einfache und prozesssichere Herstellung von Mundschutz aus Baumwolle oder Polyester eignet sich die bewährte Systemfamilie. Auf Luftwebmaschinen des Typs A1 lässt sich lebensrettender Mundschutz als „One Piece Woven“ in einem Stück weben und anschließend in die gewünschte Form lasern. Üblicherweise entstehen so zwei Drittel aller Airbagkissen weltweit. Auch Vertiefungen und Strukturen zum Einlegen von Filtern und Ventilen lassen sich einarbeiten, um die Effektivität der Masken weiter zu erhöhen. Antimikrobielle Materialien wie Silberfäden steigern die Schutzwirkung zusätzlich.

Bayern

- Pia Automation (Amberg):

Vollautomatische Produktionsanlagen für zahlreiche Industriesparten, darunter Medizintechnik, sind das A und O von Pia. Unmittelbar nach Krisenbeginn nahm das in der Nähe von Nürnberg ansässige Anlagenbauer nach Mitteilung des VDMA-Fachverbandes Robotik und Automation in China zwei stillgelegte Produktionslinien wieder in Betrieb und rüstete diese auf die vollautomatische Fertigung von bis zu 140.000 Schutzmasken pro Tag um. Mit dem Know-how aus diesem Pilotprojekt arbeitet der oberpfälzische Maschinenbauer mittlerweile an zahlreichen Folgeaufträgen und stellt selbst neue Montagelinien in Deutschland für die Fertigung von Gesichtsmasken her. In wenigen Wochen steht die erste Auslieferung der Agenda. Damit lassen sich mehr als eine Million Atemschutzmasken pro Tag herstellen.

Niedersachen

- eurolaser (Lüneburg):

Der Hersteller von Laserschneidemaschinen und der hessische Textilproduzent Georg + Otto Friedrich unterstützten gemeinsam Produzenten einfacher Gesichtsmasken. Sie liefern hoch effektive Conveyor-Maschinen zum Schneiden textiler Materialien und hautfreundliche Polysterstoffe, die optimal auf die Laserschneidemaschinen abgestimmt sind. Auf diese Weise können die eingesetzten Stoffe mit Blick auf eine „made in Germany“-Wertschöpfung mit Laser sogar faserfrei und inklusive der Haltebänder geschnitten werden. Intension beider Hersteller ist es, die heimischen Maskenproduzenten in die Lage zu versetzen, den riesigen Markt, der sich jetzt eröffnet, rasch und auf höchstem Qualitätsniveau zu bedienen.

NRW

- Reifenhäuser Reicofil(Troisdorf):

Das Meltblown-Vlies aus dem Technikum von Reifenhäuser geht jetzt vorwiegend an jene Maskenhersteller, die damit medizinische Einrichtungen und Pflegeeinrichtungen in Deutschland beliefern. Anders als zu Beginn der Corona-Krise übersteige die Nachfrage nach dem Material die Produktionsmenge aus dem Technikum um ein Vielfaches, teilt das Unternehmen mit. Für Reifenhäuser bleibt die Abgabe an manuelle Fertiger dennoch nur ein Teilerfolg. So überwältigend das große Engagement auch ist – die so produzierten Mengen seien angesichts des Gesamtbedarfs für medizinische Schutzkleidung nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wenn die Bevölkerung flächendeckend mit Masken versorgt werden soll, stiege der Bedarf in die Milliarden. Zur eigentlichen Lösung des Problems brauche es deshalb in Deutschland und Europa eigene industrielle Produktionsstandorte mit geschlossenen europäischen Lieferketten sowie ein entschlossenes Handeln der Politik. Ziel müsse es sein, Europa jetzt und auch langfristig selbstständig und wettbewerbsfähig mit Schutzmaterial zu versorgen, teilte das Unternehmen in einem Pressestatement mit.

- Fraunhofer IPT (Aachen):

Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT aus Aachen baut jetzt gemeinsam mit der IBF Automation GmbH aus Freudenberg im Auftrag der Moss GmbH aus Lennestadt im Sauerland innerhalb eines Monats eine Produktionsanlage für MNS-Masken in Deutschland auf, die täglich rund 50.000 Stück produzieren kann. Anschließend sollen drei weitere Anlagen in Deutschland aufgestellt werden, um die Produktion auf täglich 200.000 Masken ausweiten zu können.

A. Monforts Textilmaschinen (Mönchengladbach):

Im aktuellen Kampf gegen Covid-19 haben eine Reihe von Formulierern von Textilveredlungschemikalien neue antivirale und antimikrobielle Behandlungen für PSA (persönliche Schutzausrüstung) wie Gesichtsmasken und medizinische Kittel und Abdecktücher auf den Markt gebracht. Da diese neu für viele Hersteller von Textilien und Vliesstoffen sind, die sich jetzt auf den industriellen Einsatz vorbereiten, stellt der Mönchengladbacher Textilmaschinenhersteller nun seine Expertise zur Verfügung. "Wir wissen, dass sich viele unserer Kunden in der gegenwärtigen, noch nie dagewesenen Situation rasch auf den Übergang von ihren üblichen Herstellungsprogrammen zur Produktion von PSA-Artikeln vorbereiten", so Klaus Heinrichs, Vizepräsident bei Monforts. "Wir verfügen über Experten in unserem betriebsbereiten Advanced Technology Centre (ATC) hier in Deutschland, die unsere Kunden bei der raschen Umstellung auf neue Veredelungstechniken und -behandlungen, mit denen sie möglicherweise nicht vertraut sind, unterstützen und in ihrem Namen Versuche durchführen, falls sie diese Unterstützung benötigen. Das mit 3 Millionen Euro ausgestattete Advanced Technology Centre (ATC) in Mönchengladbach ist voll einsatzbereit für Veredlungs- und Beschichtungsversuche im industriellen Maßstab durch Spezialisten von Monforts.

Sachsen

- ITM TU Dresden: Nach Wiederaufnahme des laborbasierten Forschungsbetriebes am 20. April entwickelt das Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) der TU Dresden seine textile, 3D-gestrickte Mund-Nasen-Maske intensiv weiter. In Kooperation mit dem Textilmaschinenhersteller H. Stoll AG ist es gelungen, mit dem bisher erarbeiteten technologischen Know-how auf einer am Institut installierten Flachstrickmaschine von Stoll weitere Varianten neuartiger, textiler 3D-gestrickter Mund-Nasen-Masken erfolgreich umzusetzen. Damit lassen sich wiederverwendungsfähige Mund-Nasen-Masken-Varianten mit unterschiedlichsten Materialkombinationen anforderungs- und passformgerecht fertigen. Die gestrickten MNS--Masken sind – intuitiv, schnell, unkompliziert in der Handhabung – auch für Brillenträger geeignet und erfordern beim Anlegen keine Hilfe einer weiteren Person. Das ITM freue sich auf weitere Anfragen von Herstellern und Produzente, um das erarbeitete Fachwissen in neue Kooperationen mit der deutschen Textilindustrie einzubringen, heißt es aus Dresen.

Thüringen

- Ruhlamat (Marksuhl):

Der Maschinenbauer hat mit enormem Tempo eine Produktionslinie für chirurgische Einwegmasken entwickelt. Das Filtermaterial für den Atemschutz lässt sich je nach den benötigten Sicherheitslevels flexibel verarbeiten.