29.10.21 – Automotive wird nachhaltiger
Kunstleder mit Kaffeeschalenfüllstoff
In einem Kooperationsprojekt mit der Vowalon GmbH und der Professur für Textile Technologien der TU Chemnitz entwickelte die Volkswagen Group Innovation ein PVC-Kunstleder, dessen Aufbau zu 51% aus nachwachsenden Rohstoffen besteht.
Unter anderem wurden Kaffeeschalenpartikel, welche einen Abfallstoff der Kaffeeröstung darstellen, als Füllstoff innerhalb der PVC-Formulierung eingesetzt.
Studien zukünftiger Fahrzeugkonzepte lassen erkennen, dass der Fahrzeuginnenraum getrieben von Technologien wie beispielsweise dem autonomen Fahren einen Wandel hin zu einer wohnlichen und funktional vernetzten Schnittstelle zwischen Fahrzeug und dessen Insassen durchläuft. Parallel dazu fördert der Wunsch nach nachhaltiger Mobilität gleichermaßen die Entwicklung umweltverträglicherer Materialkonzepte. Aufgrund ihrer Erlebbarkeit und des direkten Kontakts stehen im Fahrzeuginnenraum insbesondere Bezugs- und Polstermaterialien im Fokus der Insassen, ebenso wie der Automobilhersteller und Zulieferer.
Da abhängig von Modell und Ausstattungsvariante ein Großteil der Bezugsmaterialien des Innenraums auf Polyvinylchlorid- (PVC) oder Polyurethan- (PU) Kunstleder entfallen, entsteht hier ein signifikantes Potential für innovative Materialentwicklungen nach ökologischen Gesichtspunkten. Die Integration von Komponenten aus nachwachsenden Rohstoffen innerhalb konventioneller und bewährter Kunstlederaufbauten stellt dabei einen ersten Schritt in der Erschließung dieses Potentials dar.
Um einen Kunstlederaufbau mit einem möglichst hohen Anteil nachwachsender Rohstoffe zu realisieren und dabei etablierte großtechnische Fertigungsverfahren, die dazugehörigen Prozessabläufe und Erfahrungswerte nutzen zu können, wurde ein konventioneller PVC-Schaumkunstlederaufbau gewählt, welcher sich im Transferbeschichtungsverfahren herstellen lässt. Dies ermöglichte darüber hinaus die direkte Orientierung an den eng definierten Qualitätsanforderungen für automobile Bezugsmaterialien.
Auswahl potentieller Füllstoffe
Zur Substitution und damit Minimierung des Anteils nicht nachwachsender Rohstoffe wurden drei Elemente des Gesamtaufbaus identifiziert: PET-Trägertextil, synthetische Weichmacherformulierung und Calciumcarbonat-Füllstoff innerhalb der PVC-Plastisole.
Als potentielle Füllstoffe für PVC-Formulierungen wurden drei landwirtschaftliche Abfall- bzw. Nebenprodukte hinsichtlich ihrer Verfügbarkeit, des Verarbeitungsprozesses und alternativer Verwendungsmöglichkeiten näher betrachtet:
- Kaffee-Silberhaut: Teil der Kaffeebohnen-Schale, Abfall des Röstungsprozesses
- Treber: Rückstande der Maische aus Bier-, Wein- oder Whiskeyherstellung
- Zuckerrübenschnitzel: Rückstand der Zuckerextraktion
Da Treber und Zuckerrübenschnitzel auch nach dem Brauvorgang- bzw. der Zuckerextraktion über einen Nährstoff-Restgehalt verfügen, werden diese üblicherweise als Tierfutter verwendet oder in Biogasanlagen fermentiert, und stellen somit keine Abfallstoffe sondern Nebenprodukte dar. Durch einen hohen Restfeuchtegehalt müssten diese Stoffe darüber hinaus einer energieintensiven Trocknung unterzogen werden, um als Füllstoff in Kunststoffen eingesetzt werden zu können.
Im Gegensatz dazu stellt die Kaffeesilberhaut als Bestandteil der Kaffeehaut bzw. -schale einen vollständigen Abfallstoff der Kaffeeherstellung dar. Genauer handelt es sich um eine rudimentär entwickelte Samenschale aus verholzten Pflanzenzellen, die sich zwischen der Kaffeebohne und der äußeren Schale bzw. Pergamenthaut befindet. Während der Röstung des Rohkaffees löst sich diese schützende Silberhaut von der Bohne, wird von dieser separiert und bleibt als vollständig getrockneter Abfallstoff zurück.
Gestrick aus nachhaltigen Rohstoffen
Zusätzlich zu den gemahlenen Silberhautpartikeln als Füller wurde der PVC-Plastisole statt des synthetischen Weichmachers eine Formulierung aus biologischen Rohstoffen hinzugefügt. Als textiler Träger fungierte ein Gestrick aus Tencel-Refibra-Garn, welches zu etwa einem Drittel aus industriellen Baumwollabfällen und Alttextilien sowie zu zwei Dritteln aus Holzzellstoff im Lyocell-Verfahren produziert wird.
Der gewählte 3-Strichaufbau wurde zunächst im Labormaßstab und anschließend auf den großtechnischen Beschichtungsanlagen der Vowalon GmbH im Transferbeschichtungsverfahren umgesetzt (siehe Abb. 2). Dabei bildet der Deckstrich eine kompakte und belastbare Oberflächenschicht, während der Schaumstrich durch eine zusätzliche Expansion gewährleistet, dass der Gesamtaufbau über ein definiertes Volumen und Flexibilität verfügt. Eine Verbindung dieser beiden Schichten zu dem textilen Träger wird durch den Haftstrich generiert. Final wird das Material durch eine Prägung mit einer einstellbaren Oberflächenstruktur versehen und mittels einer Lackierung versiegelt.
Durch die beschriebene Kombination der einzelnen Elemente konnte ein Kunstlederaufbau realisiert werden, der mit einen Anteil von insgesamt 51 % zu einem Großteil aus nachwachsenden Rohstoffen besteht. Entgegen der damit verbundenen, signifikanten Reduzierung der petrochemischen Komponenten wurden darüber hinaus Materialeigenschaften erzielt, die den direkten Vergleich zu konventionellem PVC-Schaumkunstledern ermöglichen.
Autor: Lars Lewerdomski, COI Sustainability Solutions Bio-Materials and Polymers, Volkswagen AG