22.05.25 – Trotz Omnibus-Verordnung
Nachhaltigkeit und Transparenz bleiben entscheidende Erfolgsfaktoren
Die Omnibus-Verordnung der EU bringt Bewegung in die ESG-Regulierung. Für die Modebranche stellt sich nun die Frage: Sind Nachhaltigkeit und Transparenz in der Lieferkette künftig eine freiwillige Kür? Oder bleiben sie strategische Erfolgsfaktoren?
Weniger Berichtspflichten, ein reduzierter Anwendungsbereich der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), und eine Verwässerung der Anforderungen in der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Auch im Koalitionsvertrag wurde festgehalten, dass das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LKSG) abgeschafft werden soll. All das scheint auf den ersten Blick nach einem politischen Rückzug im Compliance-Bereich auszusehen. Für die Modebranche stellt sich nun die Frage: Sind Nachhaltigkeit und Transparenz in der Lieferkette künftig eine freiwillige Kür? Oder bleiben sie strategische Erfolgsfaktoren?
Weniger Druck – weniger Wirkung?
Tatsächlich könnten sich durch die Omnibus-Verordnung viele Unternehmen versucht sehen, Investitionen in Transparenz und Sorgfaltspflichten zurückzufahren. Der unmittelbare regulatorische Zwang ist geschwächt – besonders für kleine und mittelgroße Unternehmen. Doch wird der Markt das zulassen?
Bereits jetzt fordern Konsumenten verlässliche Informationen über Herkunft, Produktionsbedingungen und ökologische Auswirkungen von Mode. Gleichzeitig erwarten Investoren klare ESG-Strategien. Wer diese Erwartungen ignoriert, riskiert langfristig Reputationsschäden und Wettbewerbsnachteile.
Transparenz bleibt der Schlüssel – auch ohne regulatorischen Zwang
Als Gründer von Retraced sehe ich die Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Einerseits beobachten wir, dass viele Marken aktuell abwarten. Die Unsicherheit ist spürbar. Andererseits erleben wir besonders im US-Markt, wie Unternehmen Transparenz in der Lieferkette längst nicht mehr als lästige Pflicht, sondern als Chance verstehen. Transparenz in der Lieferkette schafft messbare Vorteile: bessere Warenqualität, höhere Liefersicherheit, reduzierte operative Risiken – und das alles in einem zunehmend geopolitisch instabilen Umfeld. Vor allem jetzt mit den hohen geo-politischen Risiken und den wirtschaftlichen Spannungen und fast täglich ändernden Zollbedingungen ist Transparenz ein strategischer Vorteil, um eine gute Übersicht zu behalten und flexibel auf neue Bedingungen reagieren zu können– unabhängig davon, ob die Berichtspflicht gerade ausgesetzt ist.
Marktdruck statt Gesetz?
Während in Europa der regulatorische Pfad unsicherer wird, bauen Unternehmen wie Zalando oder Patagonia eigene Nachhaltigkeitsstandards auf – unabhängig von politischen Entwicklungen. Große Player werden so zu inoffiziellen Normsetzern für die gesamte Branche. Zudem bleibt der Druck auf die Lieferkette bestehen: Auch wenn KMUs nicht direkt berichtspflichtig sind, müssen sie zunehmend ESG-Daten an größere Auftraggeber, wie Zalando, liefern. Wer hier vorbereitet ist, wird zum bevorzugten Partner im B2B-Geschäft.
Zukunftssichere Strategien bauen auf digitale Transparenz
Der Modemarkt steht an einem Wendepunkt. Die gesetzliche Unsicherheit darf nicht zu einem Innovationsstopp führen. Stattdessen braucht es eine proaktive Auseinandersetzung mit nachhaltiger Transformation – auch, um sich auf zukünftige Anforderungen vorzubereiten. Auch wenn die Omnibus-Verordnung regulatorische Anforderungen entschärft, stehen bereits neue Vorgaben bevor – etwa durch die Anpassung der European Sustainability Reporting Standards (ESRS), die Einführung des Digitalen Produktpasses (DPP) oder das geplante EU-Zwangsarbeitsverbot. Diese Entwicklungen verschieben den Fokus: weg von pauschalen Berichtspflichten, hin zu konkretem Nachweis gegenüber Konsumenten und Investoren. Der Druck bleibt – er ändert nur seine Richtung. Und genau hier liegt die Chance für Unternehmen, sich frühzeitig strategisch zu positionieren.
Es geht nicht um Pflicht oder Kür – sondern um Relevanz
Ob mit oder ohne regulatorischen Zwang: Die Zukunft gehört Marken, die Verantwortung übernehmen, ihre Lieferketten verstehen und flexibel auf globale Veränderungen reagieren können. Wer Nachhaltigkeit und Transparenz als integrale Bestandteile seiner Unternehmensstrategie begreift, investiert nicht nur in Compliance, sondern in unternehmerische Resilienz und Wachstum. Die Omnibus-Verordnung mag den gesetzlichen Rahmen verschieben – doch die Notwendigkeit, nachhaltig und transparent zu handeln, bleibt bestehen.