08.11.24 – DTB & HSN Co-Veranstaltung
Virtuelle Fäden verknüpfen – agil & nachhaltig
Wer Ende Oktober dem Ruf des DTB (Dialog Textil-Bekleidung) als international agierendem Wissensnetzwerk und des Fachbereichs Textil –Bekleidung der Hochschule Niederrhein zur Veranstaltung „Digitalisierung & KI in der Produktentwicklung“ nach Mönchengladbach gefolgt war, der konnte jede Menge wertvollen Input und Inspirationen mit zurück ins eigene Unternehmen nehmen – nach zwei intensiven und interaktiven Arbeitstagen.
Unter den Teilnehmenden waren vor allem Vorreiter bei der Umsetzung der Digitalisierung inklusive erster KI-Anwendungen – nahezu allesamt Alumni des Fachbereichs, heute in Schlüsselpositionen in der Industrie. Sie schilderten sowohl ihre Erfolgsgeschichten als auch die unvermeidlichen Rückschläge – auf dem Weg hin zur DPC (Digital Product Creation). Einblicke, die von den Referenten geteilt wurden, beinhalteten auch die weitere Weichenstellung und die qua Erfahrung wirksamsten Hebel, die eben für die erfolgreiche Verknüpfung aller „Virtuellen Fäden“ – so der Untertitel des Get togethers – erforderlich sind.
Dazu boten Vorträge, Showcases, Workshops (u. a. auch zu den Schlüsselthemen digitales Farb-Management und branchen-übergeordnete Optionen rund um CGI [Computer Animated Imagery]) und dezidiertes Experten-Networking ein fulminantes Status-up-date rund um Technologien und Trends zum Thema Digitalisierung, zu KI-Hintergründen und -optionen und zwangsläufig zu CSR (Corporate Social Responsibility) und den anstehenden Berichtspflichten, die ohne digitale Bereitstellung von Daten und Fakten ebenfalls nicht gestemmt werden können.
Der Weg ist das Ziel
Die Mehrzahl der Modeunternehmen, die einen vertiefenden Einblick in ihre Reise – zunächst hin zur digitalen Produktentwicklung – boten, zählen zu den „Early Adoptern“: Die Anwender der frühen Stunde haben jede Menge erreicht. Dennoch bleibt jede Menge zu tun, um die virtuellen Fäden aller Prozesselemente zu digital zu verknüpfen – bei „Real-Time-Kommunikation“ und gleichzeitiger Weiterführung des Tagesgeschäfts und der Erzielung der Umsatz- und Margen-Vorgaben.
So konnte VirtualLab-Vordenker Prof Dr.-Ing. Ernst für seine Arbeit rund um virtuelles Design eng verbundene Akteure – Marc Cain, Olymp und die S. Oliver Group mit ihren in Summe sechs Brands – für Erfahrungs- und Statusberichte im elitären Kreis gewinnen. Geprägt vom Einblick in die 3D-Fashion-Welt an der HSN konnten sie die Optionen der Digitalisierung früh in ihre Unternehmen tragen: allesamt haben sie vor acht bis zehn Jahren als „Early Adopters“ losgelegt und „laufen gelernt“ in der Anwendung von 3D-Visualisierungs-Systemen und dem, was diese seinerzeit leisten konnten. Sie sind dann mit den Systementwicklern/-anbietern in ihren DPC-Prozessen gewachsen.
Ergebnisse in Euro und Cent sind auf unsere Nachfrage bis heute „schwer“ zu beziffern. Erheblicher Erfolgsfaktor: die nun optimierte Kommunikation zwischen Designern und Modellmachern. Alle bleiben sie dran – versteht sich – und passen ihre Strategien agil an. Dazu gehört aktuell die Evaluierung und das Testen von KI-Anwendungen zwecks Optimierung von Simulations-Ergebnissen.
Besser aufgestellt sind sie allemal schon heute. Der erworbene Vorsprung wird sich auszahlen, indem die Anforderungen im Bekleidungshersteller-Szenario täglich „tougher“ werden.
„Key take aways“ der Veranstaltung
Die gesamte Lösung der Verknüpfung aller „Virtuellen Fäden“ gibt es (noch) nicht. Die in Teilen umgesetzte Integration von digitaler Modellentwicklung und Kollektionsplanung, vorwiegend hin zum PLM (Product Lifecycle Management), zählt zu den vielversprechenden Erfolgsmeldungen.
Dezentralisierte Konzepte entlang von Produktgruppen, von Kapselkollektionen oder auch einzelner Marken, gefolgt von systematischer Skalierung, ersparen erwiesenermaßen Enttäuschungen und Rückschritte auf dem Weg in den digitalen Olymp.
Digitale Visualisierung liegt ganz vorn bei den definierten KPI’s: Die Option ein Modell früh, vor der Umsetzung von Protos zu sichten und somit zu bewerten, verkürzt die „Timeline“ und erlaubt fundierte Entscheidungen. Die Realisierung von Kostenreduktionen durch weniger Musterteile und Ersatz aufwendiger Foto-Shootings rückt tendenziell auf Rang 2.
Das „On-Boarding“ von Lieferanten bei 3D stellt eine gesonderte Herausforderung dar. Tenor auch unter den Konferenzteilnehmern von DTB und HSN: „Einige Lieferanten sind schon ganz dicht dran, andere liegen weit zurück.“
Mit Blick auf KI-Anwendungen nimmt im holistischen Sinne die Entwicklung von dezidierten Modelldatenbanken, die Zielsetzung, Datenzugriff über Modell-Attribute zu ermöglichen, die sinnvolle Spitzenposition ein.
Schnelle und perfekte Modellabbildungen oder KI-optimierte Videos zu erstellen, bestätigen sich als hilfreiche Marketing- und Sales Tools. Bei der Produktumsetzung sind sie wohl weniger hilfreich. Hier weisen 2D–3D Modellentwicklungs-Konzepte definitiv den Weg zur Vorbereitung auf die Transformation: Zeit-intensive „work arounds“ via DXF & Co. bilden bestenfalls eine halbherzige Übergangslösung.
Die tatsächliche Rolle von generativer KI, inwieweit diese aktuell nachhaltig weiterführend sein kann im Rahmen des elementaren Transformationsprozesses, ist einer der Diskussionspunkte. Da die 3D-Bilderzeugung immer mehr zur Massenware wird, gibt es neue Sprünge in den KI-Workflows von 2D zu 3D und von Video zu Video – mit Auswirkungen auf die Wahrnehmung von DPC und Marketing in der Modebranche.
Eine Änderung der Art und Weise, wie 3D-Assets für Kreative, die mit Echtzeit-Engines (wie z. B. Unreal) arbeiten, zur Verfügung gestellt werden, könnte den Weg der Mode in Echtzeit-3D in der Tat noch weiter unterstützen. Massive Verbesserungen der Ursprungs-Renderings winken durch KI-Überarbeitung. Dennoch ist auch hier Vorsicht geboten, um z. B. Fehler bei Farbwegen für den Druck auszuschließen.
Die zügige Weiterentwicklung generativer KI-Agenten, die Optionen mittels „Deep Learning“, mögen neue Spielregeln definieren. Wir haben dazu redaktionsseitig mit KI-Experten gesprochen: Deren Einschätzung lautet fünf bis zehn Jahre Zeitbedarf für die Algorithmen-basierte Option der Entwicklung dreidimensionaler, dann möglichst individueller „Konstruktions- und Fertigungspläne“ aus dem Stand (O-Ton Open Source/ChatGPT-Entwickler im vertrauensvollen Vier-Augen-Gespräch mit der Autorin). Dies angesichts der „immensen Komplexität – wenn denn der Entwicklungsaufwand für die Bekleidungs-Branche von den Technologieentwicklern als unter Amortisations-Aspekten lohnend bewertet wird.“
Der enge Schulterschluss zwischen Produkt- und Schnittentwicklung und den IT-Abteilungen weist den gesamten Weg zur Effizienzsicherung und schafft die Basis auch für die Entwicklung der wichtigen Plug-ins als Voraussetzung für die digitale Verknüpfung von Prozessen innerhalb der Organisation.
Auch wenn bei der optischen Erfassung von Stoffen bereits viel erreicht ist, Vizoo brilliert hier weiterhin in seiner global angewendeten Vorreiterrolle bei der Visualisierung: Die durchgängige Bereitstellung von tatsächlichen Materialparametern zur real-time-Simulation wird von Industrieanwendern mehrheitlich als nach wie vor unzureichend bezeichnet.
Auch hier weist das VirtualLab an der HSN, unter Leitung von Prof. Dr.Ing. Dipl.-Ing. Michael Ernst, den Weg mit dem dort entwickelten Drapometer. Wir überzeugen uns vor Ort: Messungen werden mittels einer speziellen Platte und kreisrunder Probe durchgeführt – und nicht wie anderweitig exerziert mittels Kugel und quadratischer Probe. Das zeitigt unverfälschte reproduzierbare Ergebnisse.
Die Notwendigkeit von Investitionen in Innovation und weitere Digitalisierung sowie die wachsende Technologie-Kompetenz der nächsten Generation bilden Schlüssel-Faktoren für den Erfolg der Branche in der Zukunft.
Erstaunlich, wegweisend und nachdenklich stimmend
... wenn die Repräsentantin des Weltmarktführers bei der Automatisierung von Bekleidungs-Design, automatisierter Fertigung und Vermarktung ihren Beitrag zur DTB-HSN-Zukunftsbegegnung von Lehre, Industrie und Entwicklung dem Thema CSR widmet. Karin Schiller, verantwortlich für die Kundenberatung auf dem Weg in die Zukunft bei der Lectra Group, dokumentierte anschaulich, worum es jetzt vordringlich gehen muss für eine Vielzahl von Unternehmern bereits ab 2025: Die Schaffung von Transparenz, im gesamten Sourcing und entlang gesamter Prozesse. „Die Vorschriften zur Rückverfolgbarkeit treffen ab 2025 bereits zahlreiche Unternehmen im Kreise unserer Kunden. Die regulatorische Überwachung in der Modebranche nimmt rasant zu“, erinnert sie.
Rückverfolgbarkeit – das vollständige Tracing – bildet eine entscheidende Grundlage für die vollständige Transparenz entlang der gesamten Lieferkette. Digitale „Tracing Tools“ nehmen somit eine entscheidende Rolle ein, um die Herkunft von Materialien und deren Produktionsbedingungen zu verstehen und zu verifizieren – Grundlage wiederum für nachhaltige Entscheidungen in der Produktion und beim Konsum. Schiller weiter: „Auf Grund der Komplexität ist die Nachverfolgung der Regularien ohne entsprechende KI-Tools schier nicht möglich.“ Mit der soeben lancierten Valia-Plattform will sich Lectra genau dafür aufstellen.
Hilfreicher Service an die Event-Teilnehmer: Die Bereitstellung einer Übersicht der 22 relevantesten Nachhaltigkeitsvorschriften und -initiativen sowie von drei Kategorien aufkommender gesetzlicher Anforderungen.
Die gute Nachricht: die Mehrheit aller regulativen Anforderungen der EU wie auch anderer internationaler Mode-Absatzmärkte bieten die Chance eines Fitness-Programms für eine (weitere) Branche, die sich der Veränderung wird stellen müssen.
Veranstaltungs-Highlights
Vertiefende Vorträge und Erfahrungsberichte zur Reflektion und Diskussion stellten u. a. bereit: Alvanon, Bianca Moden, Browzwear, DMIx by Color Digital, Grafis, Hugo Boss, Humanetics Digital Europe, IISYS, Jack Wolfskin, Lebek, Lectra, Marc Cain, Mey, Meyle + Müller, Natific, Olymp, Pattern Club Virtual Sampling, Studio Lupa, S.Oliver, Style3D/Assyst, Tukatech, Vizoo.