30/01/2025 – Gastbeitrag

Besorgniserregende Branchenlage

Die Prognose für die einheimische Textil- und Bekleidungsindustrie ist eher besorgniserregend. Kaum eine Branche hat in den letzten Jahrzehnten einen so tiefgreifenden Wandel erlebt wie diese.

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Dr.-Ing. Jenz Otto, Hauptgeschäftsführer des vti, äußert sich zur Lage der Textil- und Bekleidungsindustrie anlässlich des Wirtschaftswarntags am 29. Januar 2025. © vti

 

Wirtschaftspolitische Anforderungen wie die Nachhaltigkeitsziele, die REACH- und Chemikalienverordnungen, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, die Kreislaufwirtschaft oder die Dekarbonisierung sind grundsätzlich richtig, stellen die Betriebe jedoch vor große wirtschaftliche Herausforderungen und führen oft zu einem unzumutbaren Anstieg bürokratischer Anforderungen.

Die Struktur der Textil- und Bekleidungsindustrie hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert. Die klassische Produktion von Bekleidung und Heimtextilien hat in Deutschland aufgrund veränderter wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen zunehmend an Bedeutung verloren. Insbesondere die Herstellung von Massenbekleidung ist zunehmend unrentabel und abgewandert – vor allem nach Asien und in andere Niedriglohnländer. Gleichzeitig dringen Onlinehändler unter Ausnutzung bestehender Zoll- und Einfuhrkontrollen mit Fast Fashion in den Markt ein.

Dieser Wandel betrifft mittlerweile auch andere Bereiche der Textilindustrie. Besonders die Produktion technischer Textilien galt bislang als Ertragsbringer. Hohe Qualitätsansprüche, Liefertreue und Innovationskraft sind entscheidende Kriterien, mit denen regionale Unternehmen ihre Wettbewerbsvorteile ausbauen konnten. Nahezu jeder Hersteller hat mittlerweile hochspezialisierte technische Textilien oder Produkte in sein Sortiment aufgenommen.

Lag der Umsatzanteil der Bekleidungsindustrie vor zehn Jahren noch bei etwa 8 % in unserem Verbandsgebiet, so liegt er heute nur noch bei 3 - 4 %. Das bedeutet, dass 97 % der textilen Wertschöpfung mittlerweile auf technische Produkte entfallen. Die Textilindustrie hat sich zu einer klassischen Zulieferindustrie entwickelt, deren Hauptabnehmer die Automobilindustrie, das Gesundheitswesen, die Möbel- und Bauindustrie, die Chemiebranche sowie die Landwirtschaft sind. Diese Entwicklung führt jedoch zu einer starken Abhängigkeit. Kommt eine dieser Branchen in Schwierigkeiten, spüren die Zulieferer die Auswirkungen sofort.

Die wirtschaftliche Lage der Textilindustrie lässt sich aufgrund der unterschiedlichen Unternehmensstrukturen und Produktarten nur schwer pauschal bewerten. Während einige Mitgliedsunternehmen hervorragende Geschäftszahlen melden, sind andere von Insolvenz bedroht oder schließen Standorte. Eine allgemeine Einschätzung zur Lage der Branche fällt daher schwer. Im vergangenen Jahr hat die Branche insgesamt etwa 10 % ihres Umsatzes verloren, nach einem kontinuierlichen Aufholprozess von rund 4 % jährlich seit der Corona-Pandemie. Besonders die Bekleidungsindustrie im Verbandsgebiet hat im gleichen Zeitraum fast 40 % verloren. Die Schließungen im Einzelhandel während der Pandemie und die anhaltende Kaufzurückhaltung konnten auch durch den zunehmenden Online-Handel nicht kompensiert werden.

Sachsen zählt seit Jahren zu den vier bedeutendsten Textilregionen in Deutschland, sowohl hinsichtlich der Zahl der Betriebe als auch der Beschäftigten. Die Hoffnungen der Unternehmen unserer Branche ruhen auf einer wirtschaftsorientierten Industriepolitik der neuen Staatsregierungen in Sachsen und Thüringen sowie der zukünftigen Bundesregierung. Der „Wirtschaftswarntag“ unterstreicht unsere Forderungen. Der Mittelstand muss stärker in den Fokus politischer Entscheidungen rücken. Regulierungen, Verbote und bürokratische Hürden, die die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen, sollten abgeschafft werden.